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„Blutsbrüder“ (von Ernst Haffner)

Eine anonyme Rezension zum Buch:
Ernst Haffner: Blutsbrüder-Ein Berliner Cliquenroman. Metrolit, 2013.

Der Roman „Blutsbrüder – Ein Berliner Cliquenroman“ geschrieben von Ernst Haffner erschien ursprünglich 1932 unter dem Titel „Jugend auf der Landstraße Berlin“ im Verlag von Bruno Cassirer, wurde aber 1933 von Nationalsozialisten verboten und bei den Bücherverbrennungen verbrannt. 2013 wurde das Buch unter einem neuen Titel erneut aufgelegt und erschien im Metrolit-Verlag.
Ernst Haffner lebte zwischen 1925 und 1933 in Berlin, durch seine Arbeit als Journalist und Sozialarbeiter gelingt es ihm am Beispiel der Blutsbrüder–Clique das Leben von obdachlosen Jugendlichen in Berlin am Anfang der 1930er realistisch zu beschreiben.

Die Blutsbrüder sind eine von vielen selbstorganisierten Cliquen in Berlin und bestehen aus acht Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 Jahren. Jonny ist 21 und gilt als ihr Anführer. Die Blutsbrüder sind entweder Waisen oder aus Fürsorgeeinrichtungen oder von zu Hause geflohen. Ohne die Cliquen ist das Überleben auf der Straße schwerer, da man innerhalb der Clique zusammenhält und sich bei dem Leben in Armut unterstützt. Den Alltag eines Einzelnen und die Aussichtslosigkeit beschreibt Haffner so: „Auf den Strich gehen, gelegentlich einen Taler dabei verdienen und sonst hungern und hungern, daß die Schwarte knackt. Obdachlos, solange schon obdachlos, daß eine Matratze in einer Massenherberge das Paradies ist. Oder aber sich einer anderen Clique anschließen. Wieder unter einem Führer arbeiten, Taschendiebstähle, kleinere Einbrüche, Autoräubereien…, was gerade Spezialität der Clique ist.“ (S. 228).

Im Mittelpunkt der Handlung stehen Ludwig und Willi. Willi flieht mit 20 aus einer Fürsorgeeinrichtung und reist unter einem Zug hängend nach Berlin. Der 19-jährige Ludwig floh zwei Jahre zuvor aus derselben Fürsorgeeinrichtung und schloss sich den Blutsbrüdern an. Er wird unschuldig verhaftet und flieht zurück zu den Blutsbrüdern, als er in eine Fürsorgeeinrichtung überführt werden soll. In Berlin treffen sich die beiden und durch Ludwig findet Willi Anschluss an die Blutsbrüder. Das Problem der Jugendlichen sind die Dokumente, denn bis zu ihrem 21. Lebensjahr dürfen sie als Minderjährige keine Wohnung mieten oder arbeiten, daher verdienen sie ihr Geld illegal. Als Willi und Ludwig nicht damit einverstanden sind, wie die Clique ihr Geld verdient, verstecken sie sich vor den Blutsbrüdern, um kein Teil mehr davon sein zu müssen. Sie probieren sich ein halbwegs legales Leben aufzubauen und man erfährt, dass es auch Jugendliche gab, die trotz Hürden ein ehrliches Leben führen wollten.

Ernst Haffner berichtet in seinem Werk anschaulich in welchen Verhältnissen die Jugendlichen lebten und wie weit sie gingen, um zu überleben. Man bekommt einen Einblick in das Leben der damaligen Zeit, sowohl sprachlich als auch wirtschaftlich. Das man von der politischen Lage gar nichts mitbekommt, liegt vermutlich daran, dass man als Obdachloser andere Probleme hatte als die größer werdende Zahl an Nationalsozialisten.
Auch die Unterschiede zwischen Osten und Westen werden eingebaut, als Willi und Ludwig in den reichen Westen fliehen, aber schnell merken, dass dies nicht ihr Leben werden kann.  Außerdem erfährt man die Unterschiede von einem Leben in der Fürsorgeeinrichtung und dem Leben auf der Straße. Es wird deutlich warum die Jugendlichen von dort oder von zu Hause flüchten, aber auch warum einige sich wieder der Polizei stellen, um zurück in eine Fürsorgeeinrichtung zu kommen. Haffner beleuchtet nicht nur ein Einzelschicksal, sondern mehre Schicksale der Jugendlichen von damals. Dabei geht er nie zu tief ins Detail und beschönigt die Handlung nicht. Dadurch hat man als Leser*in das Gefühl ein authentisches Bild zu bekommen.

Durch den Roman bekommt man einen guten Einblick in das Leben von Kindern und Jugendlichen der damaligen Zeit. Obwohl der Roman das Leben von fiktiven Personen beschreibt, scheint mir das Buch sehr authentisch. Das liegt vor allem an dem Verbot des Buches durch die Nationalsozialisten. Demnach würde ich es allen empfehlen, die sich mit dem Leben von Jugendlichen am Ende der Weimarer Republik auseinandersetzen wollen.