Allgemein, Empfehlungen, Politik

Politisches korrektes Reisen – ist Norwegen ein Positivbeispiel?

An autumn view to Raftsundet and mountains of Austvågøya (including Trolltindan) over Tennfjorden, Hinnøya, Norway in 2015 September. Photo by Ximonic (Simo Räsänen). URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Quality_images_of_nature_in_Norway#/media/File:Afternoon_at_Tennfjorden,_Raftsundet,_Hinn%C3%B8ya,_Norway,_2015_September.jpg ; License: CC BY-SA 3.0

Ein Beitrag von Noëlle Karberg (Q4). Dieser Text enstand im Rahmen des Leistungskurses Politikwissenschaft.

„Nach dem Abi möchte ich erstmal reisen“, ist eine Antwort, die man häufig auf die Frage nach den Zukunftsplänen bekommt. Dem Ernst des Lebens ein bisschen zu entfliehen und Neues zu entdecken, klingt durchaus verlockend. Doch was für uns als Reisende Vergnügen ist, kann auf der anderen Seite, bei Einwohner*innen und der Natur unseres Reiseziels das Leben deutlich ernster machen, als es uns vielleicht bewusst ist.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Tourismus weltweit boomt, die Auswirkungen des Massentourismus jedoch den Erfolg der Branche in den Schatten stellen, ist die Frage nach politisch und moralisch vertretbarem Reisen schnell mit einem „Wo soll man denn dann noch hinfahren?“ abgetan. Doch gibt es Positivbeispiele?

Norwegen gilt als eines der am besten entwickelten Länder der Welt und gehört zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen.
Inwiefern man verschiedene Wirtschafts- und Politikzweige eines Landes als Tourist*in unterstützt, ist mit Ausnahme der Tourismusbranche, schwer zu identifizieren. Daher orientiert sich dieser Überblick an subjektiv festgelegten Kriterien, die das Land auf seine politische Korrektheit allgemein untersuchen. So kann sich jede*r selbst ein Urteil darüber fällen, ob es für sie*ihn vertretbar ist, nach Norwegen zu reisen.

Demokratie und Freiheit sind, zumindest nach Angaben der dazu erstellten Indizes verschiedenster Organisationen, in Norwegen definitiv gewährleistet. Laut des Fraser Instituts, welches jährlich den „Human Freedom Index“ veröffentlicht, belegt Norwegen den 10. Platz weltweit für persönliche, zivile und ökonomische Freiheit. Zum Vergleich: Deutschland steht hier auf Platz 13. „Reporter ohne Grenzen“ sieht Norwegen auf Platz 1 der Pressefreiheit weltweit. Auch in Fragen der Demokratie belegt es Platz 1.

In Sachen Klimaschutz ist Norwegen nicht ganz so eindeutig erfolgreich wie in der Rubrik Demokratie und Frieden. Es belegt im Klimaschutz-Index (KSI) zwar Platz 12, rutschte aber zwischen 2018 und 2019 um 5 Plätze ab. Dies hängt vor allem mit der Erdölförderung des Landes zusammen. Nach wie vor macht der Erdölexport 17 % der Staatseinnahmen Norwegens aus.
Trotzdem unterzeichnete Norwegen das Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 und nahm dort auch gute Verhandlungspositionen ein, so der KSI-Bericht. Des Weiteren wurden, unter anderem um die Belastung der Fjorde durch Kreuzfahrttourismus einzugrenzen, zulässige Emissionswerte von Schiffen heruntergesetzt, sowie ein Verbot für Abwasserausschüttung durch Kreuzfahrtschiffe festgelegt. Die beliebte Touristenstadt Bergen gab außerdem an, in Zukunft weniger Kreuzfahrtschiffe in ihrem Hafen anlegen zu lassen. Die Bestimmungen sollen im Sommer 2019 in Kraft treten.

Das Militär Norwegens weist eine Friedensstärke von 18.000 Soldat*innen auf. Seit 2015 wurde die 19-monatige Wehrpflicht auch auf Frauen ausgeweitet. Der Frauenanteil im Militär betrug 2016 zehn Prozent.
Die Militärausgaben machten 1.65% des BIP im Jahr 2017 aus. Norwegen ist NATO-Gründungsmitglied. Kürzlich gab das Außenministerium bekannt, dass es Rüstungsexporte in die Vereinigten Arabischen Emirate unterlassen wird, da diese sich am Konflikt im Jemen beteiligen und aus norwegischer Sicht die humanitäre Krise dort besorgniserregend sei.

Die Todesstrafe ist in Norwegen seit 1979 abgeschafft. Die höchstmögliche Gefängnisstrafe beträgt 21 Jahre, jedoch können Täter*innen auch darüber hinaus in Gewahrsam gehalten werden, falls sie weiterhin als gefährlich gelten.
Seit dem Attentat durch den Rechtsterroristen Anders Behring Breivik im Jahr 2011 in Oslo und Utoya sind jedoch die Stimmen nach einer Widereinführung laut geworden. Die rechtspopulistische Fortschrittspartei (FrP) machte eine härtere Justiz unter anderem zu einem Punkt ihres Wahlprogramms. Die FrP kam bei der Wahl 2017 auf 23%.

Der Aufschwung der rechtspopulistischen Partei hängt auch mit den Auffassungen über die Aufnahme geflüchteter Menschen in Norwegen zusammen. Zwei von drei Norwegern unterstützt die restriktive Flüchtlingspolitik, die vor allem geflüchtete Menschen aus Afghanistan, Irak und Äthiopien abschiebt, was durch Amnesty International kritisiert wurde.
Laut eines Artikels in Deutschlandfunk Kultur dürften abgelehnte Asylbewerber*innen in ihren Unterkünften bleiben, allerdings ohne Arbeitserlaubnis und Sprachunterricht. Diese Maßnahme führe zu überfüllten Heimen, die außerdem zunehmend geschlossen werden. 2017 habe Norwegen die höchste Abschieberate nach Afghanistan gehabt. Norwegen schloss sich trotz Widerstand in der Regierung dem Global Compact on Migration an.

Der Bericht über Menschenrechte aus dem Jahre 2017/2018 von Amnesty International kritisiert, dass die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen zwischen 2015 und 2016 um 21 % anstieg und dass sich in diesem Zusammenhang die norwegische Rechtsprechung nicht auf die fehlende Zustimmung des Opfers in der Definition der Vergewaltigung bezieht. Auch die UN-Kommission für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau rief dazu auf, diese bestehende Fehlbeschreibung zu ändern. Zudem wird bereits seit mehreren Jahren bemängelt, dass Hassverbrechen gegen Transgendergeschlechtliche nicht als solche in Rechtsprechungen charakterisiert würden. In beiden Beispielen missbilligte die Organisation Fahrlässigkeit in polizeilichen Ermittlungen.

Oslo Pride Parade 2018; Photo by simmersholm.net; URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Oslo_Pride_Parade_2019#/media/File:Oslo_Pride_Parade_22.jpg; License: CC BY-SA 4.0.

Die Rechte für Homosexuelle gelten in Norwegen als sehr fortschrittlich. 1981 wurde das weltweit erste Antidiskriminierungsgesetz für sexuelle Orientierung in Norwegen verabschiedet. Die Ehe für alle und die Möglichkeit, Kinder auf gleiche Art und Weise wie heterosexuelle Paare zu adoptieren wurde 2009 gesetzlich beschlossen. Eine Einschätzung homosexueller Männer zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität, der sogenannte „Gay Happiness Index“ sieht das Land auf Platz 2 weltweit. 2017 wurden 83 Hassverbrechen gegen Homosexuelle aufgezeichnet.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in Norwegen ebenfalls recht fortgeschritten. Bereits 2008 wurde per Gesetz eine 40%-ige Frauenquote für Aufsichsräte im Öl- und Finanzsektor beschlossen. Der Gender-Gap-Report von 2018 besagt, dass Norwegen hinter Island an zweiter Stelle der weltweiten Schließung der Lücke zwischen Männern und Frauen steht und 83% dieses Prozesses erledigt haben soll.

Beim Thema Korruption liegt Norwegen auf Platz 7 weltweit, erhält 16 von 100 Punkten und ist damit überdurchschnittlich gut.

Zuletzt bleibt noch der Reiseweg von Berlin nach Norwegen zu beurteilen. Laut Atmosfair würde ein Flug von Berlin nach Oslo ca. 344 kg CO2 ausstoßen. Der Kompensationsbeitrag dafür läge bei 10 Euro. Auch mit Zug und Fähre ist Norwegen zu erreichen, mit dem Auto dauert es etwa 12-13 Stunden.

Zusammenfassend kann Norwegen als durchaus vertretbares Reiseziel bewertet werden. In allen angestellten Untersuchungen belegt Norwegen einen überdurchschnittlichen Platz und ist meist fortschrittlicher als Deutschland.
Die Wahl rechtspopulistischer Parteien und die restriktive Flüchtlingspolitik können als Abschreckung gewertet werden, jedoch überwiegen die positiven Aspekte, insbesondere in Sachen Klimaschutz. Trotz der massiven Erdölförderung, die einen Großteil des Staatsfonds ausmachen, welcher für den Reichtum Norwegens verantwortlich ist, können die Maßnahmen zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks der Tourismusbranche zu einem guten Gewissen bei einer Reise nach Norwegen beitragen: Oslo ist Klimastadt 2019 und viel der Touristen-Hotspots erhielten Auszeichnungen als nachhaltige Reiseziele.

Quellen [letzter Zugriff jeweils am 10.03.2019]:
Aengus, Carroll; Ramón Mendos, Lucas: State-Sponsored Homophobia. In: ILGA Online. Mai 2017.
URL: https://ilga.org/downloads/2017/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2017_WEB.pdf

Autor*in unbekannt: Anteil der Militärausgaben am BIP in Norwegen. In: Statista.de. Juni 2018.
URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/581786/umfrage/anteil-dermilitaerausgaben-am-bip-in-norwegen/

Autor*in unbekannt: Democracy Index. In: The Economist Intelligence Unit Online.
URL: http://www.eiu.com/topic/democracy-index

Autor*in unbekannt: Gay Happiness Index. In: Planet Romeo Online.
URL: https://www.planetromeo.com/de/care/gay-happiness-index/

Autor*in unbekannt: Norwegen führt Abgasgrenze für Kreuzfahrtschiffe ein. In: Spiegel-Online. 01.03.2019.
URL: http://www.spiegel.de/reise/aktuell/norwegen-fuehrt-abgasgrenzen-fuerkreuzfahrtschiffe-ein-a-1255766.html

Autor*in unbekannt: Norwegische Streitkräfte. In: Wikipedia. 15.02.2019 (zuletzt
aktualisiert).
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Norwegische_Streitkr%C3%A4fte

Bals, Christoph; Burck, Jan; Marten, Franziska (et. al.): Klimaschutzindex – die wichtigsten Ergebnisse 2018. In: Germanwatch Online. November 2017.
URL: https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/publication/20531.pdf

Eglitis, Lars (Hg.): Korruptionsindex Norwegen. In. Länderdaten Info Online.
URL: https://www.laenderdaten.info/Europa/Norwegen/korruption.php

Frantzen, Michael: Hart aber Fair? In: Deutschlandfunk Kultur Online. 18.04.2018.
URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/norwegens-fluechtlingspolitik-hart-aberfair.979.de.html?dram:article_id=415308

Frantzen, Michael: Politik der geschlossenen Türen. In: Deutschlandfunk Online. 12.05.2018. URL: https://www.deutschlandfunk.de/norwegens-restriktive-fluechtlingspolitik-politikder.724.de.html?dram:article_id=417791

Mihr, Christian (Hrsg.): Rangliste der Pressefreiheit. In: Reporter ohne Grenzen Online.
URL: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/weltkarte/#rangliste-der-pressefreiheit

Olsen, Jan: Norway suspends arms exports to UAE amid Yemen Conflict. In: DefenseNews Online. 03.01.2018.
URL: https://www.defensenews.com/global/europe/2018/01/03/norway-suspends-armsexports-to-uae-amid-yemen-conflict/

Stein, Gabriele; Vogel, Roland; John, Mathias (Hrsg.): Amnesty Report Norwegen 2017/18. In: Amnesty International Online. 23.05.2018.
URL: https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/norwegen#section-3519458

Vásquez, Ian; Porcnik, Tanja: The Human Freedom Index 2018. In: Fraser Institut Online. 2018.
URL: https://www.fraserinstitute.org/sites/default/files/human-freedom-index-2018.pdf

Zahidi, Saahida; Geiger, Therry; Crotti, Robert (Hrsg.): Gender Gap Report 2018. In: World Economic Forum Online. 2018.
URL: http://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2018.pdf