Allgemein, Deutsch

Buchkritik zu „Effi Briest“ (I)

Ein Beitrag von Lena Faubel (Q1). Dieser Text entstand im Rahmen des Grundkurses Deutsch (Leitung: Frau Lemme).

Theodor Fontanes Gesellschaftsroman „Effi Briest“ erschien im Jahre 1896 und zählt zu den bedeutendsten Werken des poetischen Realismus. Der Roman befasst sich mit der damaligen Gesellschaft und ihren Wertevorstellungen. Ein großes Thema ist die Liebe und speziell die Rollenverteilung von Mann und Frau.

Die Handlung spielt im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Die 17jährige Effi Briest wächst in behüteten familiären Verhältnissen einer adeligen Familie auf. Innstetten, ein 38jähriger Baron und früherer Verehrer von Effis Mutter, hält um Effis Hand an. Auf die Hochzeit folgt der Umzug nach Kessin. Effi leidet unter Angst in dem neuen Haus und langweilt sich, da ihr Ehemann meistens unterwegs ist. Innstettens Hund Rollo bietet ihr Trost in dieser Zeit. Außerdem findet sie in Apotheker Alonzo Gieshübler einen guten und treuen Freund. Effi bekommt eine Tochter: Annie. Während der Schwangerschaft lernt sie das Kindermädchen Roswitha kennen und stellt sie bei sich ein. Zur gleichen Zeit trifft sie auf Major Crampas, den Innstetten vom Militärdienst kennt. Es entwickelt sich eine Affäre aus anfänglicher Freundschaft und Effi plagen Gewissenskonflikte. Effi, Innstetten und Annie ziehen nach Berlin. Sechs Jahre später findet Innstetten durch Zufall Briefe von Crampas an Effi und erfährt somit von der Affäre. Effi wird von ihm und ihren Eltern verstoßen und ihre Gesundheit verschlechtert sich zunehmend.

Zentral ist hierbei Effis innere Zerrissenheit, die den Konflikt zwischen der Individualität und den gesellschaftlichen Zwängen der damaligen Zeit verdeutlicht.

Die Machtlosigkeit der Frau wird besonders im Kapitel 27 deutlich, in dem Innstetten die Briefe von Crampas findet und Effi noch während ihrer Abwesenheit von ihm verstoßen wird. Zudem ist es Innstettens erstes Bedürfnis, seine Ehre zu retten und Crampas im Duell umzubringen, denn Ehre ist zu der Zeit ein wichtiger Bestandteil des männlichen Daseins. So ein Verhalten ist heute fast undenkbar, da es das Ehrkonzept von damals heute so nicht mehr gibt. Auch wenn der Handlungsverlauf in der damaligen Zeit nicht unüblich war, wirkt er doch leicht überspitzt aufgrund der vielen gesellschaftlichen Werte und Prinzipien, die alle in Effis Leben deutlich werden sollen. Trotz der großen zeitlichen Distanz zur Gegenwart hat der Roman allerdings noch erschreckend viel Aktualität. Die Probleme Effis, sich in die Gesellschaft einzugliedern und den Normen zu folgen, haben viele Menschen heutzutage ebenfalls. Gewisse gesellschaftliche Zwänge herrschen immer. Zwar ist die Emanzipation der Frau deutlich fortgeschritten, doch wir leben immer noch in einer patriarchalen Gesellschaft. Zudem gibt es heute einen enormen Leistungsdruck und die Individualität des Einzelnen ist beschränkt, denn letztendlich muss sich jeder der Gesellschaft beugen. Effis Zerrissenheit bezüglich Individualität und Gesellschaft ist deshalb zeitlos. Besonders interessant ist also der Charakter der Protagonistin Effi. Neben ihren Bemühungen, sich gesellschaftskonform zu verhalten, reagiert Effi immer wieder spontan. Diese Menschlichkeit sorgt dafür, dass der Leser für sie Sympathie entwickelt. Innstetten hingegen ist ein normkonformer Preuße und hält sich an die Anforderungen der Gesellschaft. Dadurch wirkt er weniger empathisch.

An manchen Stellen hätte die Handlung abgekürzt werden können, da das Buch teilweise etwas langatmig zu lesen ist. An anderen Stellen wiederum setzt Fontane riesige Zeitsprünge von mehreren Jahren.

Theodor Fontane verwendet eine bildreiche Sprache und gibt scheinbar oberflächlichen Dingen eine tiefere Bedeutung. So steht zum Beispiel die Schaukel im Garten von Effis Elternhaus, die auf der ersten Seite des Romans angesprochen wird, für ihre kindliche Art und ihre unbeschwerte Jugend. In der folgenden Szene wird beschrieben, wie Effi die Nadel niederlegt, aufsteht und geht. Daraus lässt sich ableiten, das Effi Monotonie nicht mag und ihr schnell langweilig wird. Sie möchte in ihrem Leben Spaß haben und sich vergnügen. Durch diese bildreiche Sprache lässt sich der Roman flüssig lesen, jedoch bietet sie auch viel Interpretationsspielraum und man erkennt eventuell nicht jede Bedeutung beim ersten Lesen.

Der Roman beinhaltet viele Gegensätze, die unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zeigen. So sind zum Beispiel Major Crampas und Innstetten zwei gegensätzliche Charaktere. Dies wird besonders in der Szene deutlich, in der Effi, Innstetten und Crampas auf einem ihrer Ausritte unterwegs sind. Crampas und Innstetten diskutieren über den Umgang mit Gesetzen und Regeln. Innstetten hält sich strikt an Normen und Gesetze, während Crampas häufiger das macht, was er für richtig hält, und nicht, was ihm vorgeschrieben wird. Diese Kontraste machen das Buch spannender und interessanter zu lesen.

„Effi Briest“ ist ein sehr komplexer Roman. Man wird also nicht beim ersten Lesen alles verstehen. Um die Gründe für Entscheidungen der Figuren und alle Zusammenhänge sowie Hintergründe nachzuvollziehen, muss man die Geschichte gründlich analysieren und sich auf die damaligen Verhältnisse einlassen. Aus heutiger Sicht wirken viele Entschlüsse übertrieben oder nicht nachvollziehbar, deshalb sollte man ein Grundwissen zu der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts haben, um den Verlauf von Effis Leben zu verstehen.

Da der Roman vor der Zeit der Emanzipation der Frau geschrieben wurde, ist es bemerkenswert, dass der Autor so eine kritische Position gegenüber den gesellschaftlichen Anforderungen seiner Zeit einnimmt. Er lässt Effi Sympathieträgerin sein, obwohl sie sich den Werten der Gesellschaft wiedersetzt hat und verstoßen wurde.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fontane mit „Effi Briest“ einen sehr interessanten Gesellschaftsroman verfasst hat. Dieser ist an manchen Stellen etwas langatmig und man versteht nicht direkt die Reaktionen oder Entschlüsse der Charaktere, da Fontane viele unscheinbare, aber trotzdem zentrale Bedeutungen in den Text verbaut hat. Er arbeitet aber den Charakter Effis sehr spannend heraus und schafft es somit, dass sich auch heute noch Menschen mit Effi identifizieren können. Dadurch erhält der Roman trotz seiner zeitlichen Distanz einen zeitlosen Charakter.