Der folgende Artikel wurde zuvor in der 1. Ausgabe des gedruckten Fichtenblattes veröffentlicht.
Hey, mein Name ist Fanny Oppermann. Anfang September 2018 bin ich für ein Jahr nach Kanada gegangen. Bevor man ein Auslandsjahr machen kann, ist es ein wenig kompliziert – man braucht Empfehlungsschreiben von den Lehrern (wenn man, so wie ich, ein Stipendium haben möchte), man muss viele Formulare ausfüllen, Dinge beantragen – es ist wirklich ein bisschen aufwändig. Aber keine Sorge, bei dem ganzen Papierkram hilft einem die Organisation und es lohnt sich wirklich! Wenn man dann all das geschafft hat, kann es losgehen – ein Jahr ganz woanders leben!
Wenn ich euch einen ersten Tipp geben darf: Feiert die Nacht, bevor es losgeht, durch. Dann fällt der Abschied am nächsten Morgen nicht so schwer. Die ganze Familie und alle Freunde sind müde und verkatert. Aber wenn man ein wenig neben der Spur ist, ist der Abschied leichter, glaube ich. So war es zumindest bei mir. Ich schlief fast den gesamten Flug über und machte mir keine großen Gedanken über meine Gastfamilie, den ersten Schultag oder meine Familie, die in Deutschland blieb.
Als ich nach einer fast zwanzig Stunden langen Reise auf meine Gastfamilie traf, wusste ich, dass dies ein wundervolles Jahr werden würde!
Meine Gastfamilie lebte in einem tollen Haus mitten im Wald in der Nähe von Pictou, ein kleines Dorf mit etwa 3000 Einwohnern auf der Halbinsel Nova Scotia. Es gab noch nicht einmal öffentliche Transportmittel, deshalb hier noch ein wichtiger Tipp, falls ihr auch vorhabt, ein Auslandsjahr in Kanada zu machen: Lernt möglichst schnell Freunde kenne, die schon 16 sind und einen Führerschein haben! Das ist sehr wichtig, damit ihr nicht immer eure Gastfamilie fragen müsst, ob sie euch irgendwo hinbringen oder abholen kann. Obwohl es keine Großstadt war, war es wunderschön und genau so, wie man sich Kanada vorstellt: Viel Natur, große Landschaften, sehr freundliche Leute, große Autos und viele Tiere. Ich konnte einen Bären hinter unserem Haus sehen und öfter mal Kojoten heulen hören.
Die Schule fing erst drei Tage nach meiner Ankunft an, was wirklich großartig war, da ich mehr Zeit hatte, meine Gastfamilie kennen-zulernen, anzukommen und mich einzuleben. All das ging erstaunlich schnell und gut. Ich verstand mich von Anfang an super mit meiner Gastfamilie und sie freuten sich sehr über meine Gastgeschenke. Sie kannten kein Marzipan und hatten noch nie mit Füllern geschrieben.
Die Schule fängt dort erst um 9:00 Uhr an, was viel entspannter ist! Unser Schulbus kam normalerweise gegen 8:15 Uhr, an meinem ersten Schultag kam er natürlich zwanzig Minuten zu spät. Die Lehrer waren super nett und entspannt und hatten ein wirklich anderes Verhältnis zu den Schülern. Vielleicht liegt es daran, dass es kein „Sie“ gibt, sondern nur ein „you“, wodurch sich alle automatisch duzen. Zum Beispiel hat mich eine Lehrerin mal nach Hause gefahren und eine andere hat mir mal Geld geliehen! Auch die Schüler sind super nett und hilfsbereit. Man steht nicht lange allein im Flur herum, sehr schnell fragt dich jemand, ob du Hilfe brauchst.
Der Unterricht war sooo einfach, dass ich mich nicht sonderlich anstrengen musste, um im Unterricht gut mitzukommen. Zudem gab es viele Kurse, die es bei uns gar nicht gibt, (Yoga, Kochen, Business Management, Wood work…).
Ich fühlte mich wirklich sehr willkommen. Das lag zum Teil auch daran, dass man jeden Monat einen Ausflug mit all den anderen Austausch-schülern/Internationals macht, um sich auszutauschen und mehr von Nova Scotia zu sehen. Einer der schönsten, aber gleichzeitig auch gruseligsten, Ausflüge mit den anderen Internationals war der Trip zum „Hunted Cornmaze“ – ein riesiges Horrormaisfeld. Ein Labyrinth, in dem Leute mit Kettensägen hinter dir herrennen und Horroclowns dir zu lächeln.
Im November waren wir auf einer Pumpkin- Regatta, bei der Leute riesige Kürbisse aushüllten, sehr schön bemalten und dekorierten und dann in den Kürbissen über einen See paddelten. Es war ziemlich lustig, wenn auch etwas kalt für einige, denn nicht alle Kürbisse blieben über Wasser.
Auch der Schoolspirit war anders als in Deutschland, viel intensiver und enthusiastischer! Alle sind stolz darauf, auf ihre Schule zu gehen und man will den anderen Schulen zeigen, was für eine coole Schul-gemeinschaft man hat. Alle machen mit und halten zusammen! Mehrmals im Jahr gibt es eine „Spiritweek“ und am Ende der „Spiritweek“ gibt es immer einen „Spiritdance“, eine Schulparty. Fast alle Schüler gehen dorthin und auch die Lehrer verkleiden sich und machen mit.
Wenn ihr so wie ich im Herbst nach Kanada geht, könnt ihr den Indian Summer miterleben. Das ist etwas ganz Besonderes. Das Herbstlaub leuchtet in allen Farben, blauer Himmel, wunderschön. Wir waren zu der Zeit viel im Wald hinter unserem Haus unterwegs, um schöne Fotos zu machen und die Natur zu genießen.
Doch auch im Winter ist es in Kanada wunderschön, denn anders als in Berlin gibt es dort richtig viel Schnee. Ein paarmal sogar so viel, dass die Schule ausfiel, weil die Schulbusse nicht fahren konnten. Doch wenn man vorhat raus zu gehen, muss man sich warm einpacken, denn es sind mindestens minus 10, wenn nicht sogar minus 20 Grad!
Der kanadische Winter ist leider auch sehr lang, denn erst so gegen Ende April wird es so langsam warm. Richtig Sommer, also für kanadische Verhältnisse über 25 Grad, ist nur im Juli und August und den ersten Schnee gibt es schon wieder im Oktober.
Giulia – meine Gastschwester aus Italien – war zum ersten Mal Schlittenfahren und Schlittschuhlaufen, sie hatte zuvor noch nie Schnee gesehen. Unser Gastvater band zwei Schlitten an seinen riesigen Rasenmäher und zog uns durch den Schnee. Bei jeder scharfen Kurve fielen wir vom Schlitten in den Schnee, aber es war sehr lustig.
An Thanksgiving konnte ich zum ersten Mal Truthahn probieren. Die ganze Verwandtschaft kam und jeder brachte etwas fürs Abendessen mit. Wir waren ca. 20 Leute und der Truthahn wog 16kg, von dem konnten wir uns auch noch Wochen danach ernähren.
Auch die Weihnachtszeit mit meiner Gastfamilie war wunderschön. Man geht auf Paraden, schaut sich Weihnachtskonzerte an, geht Weihnachts-shoppen – alle Geschäfte sind weihnachtlich geschmückt und die Angestellten tragen Kostüme – und fällt sich einen Weihnachtsbaum.
Meine Gastfamilie schmiss eine große Weihnachtsparty, wo es super viel Essen gab und als alle voll waren, setzten wir uns ans Klavier und musizierten zusammen.
Am 25.12. packten alle ihrer Geschenke am Morgen aus und dann blieben wir den gesamten Tag im Schlafanzug und freuten uns über unsere Geschenke. Am nächsten Tag gibt es nochmal ein riesiges Familienessen, das eigentlich genauso ist wie Thanksgiving. Super lecker und nach dem Essen tut einem der Bauch weh und man fühlt sich als würde man gleich platzen!
Mit meiner Gastfamilie machte ich natürlich auch viele Ausflüge. Ich glaube, mein schönster Ausflug war Peggy’s Cove. Ein winziges Dorf am Meer mit einem Leuchtturm auf einer Klippe und einem wunderschönen Ausblick. Es war wirklich zauberhaft und wenn ihr nach Nova Scotia kommt, müsst ihr unbedingt dorthin gehen, denn es ist eine der besten Attraktionen auf dieser Insel!
Ein weiteres „Must seen!“ ist die Sugar Moon Farm. Ein Restaurant, in dem alles mit selbstgemachtem Ahornsirup gekocht wird. Nach dem Essen kann man auf eine Tour gehen und sehen, wie Ahornsirup hergestellt wird. Sehr interessant und sehr lecker.
Auch in Keji sollte man unbedingt gewesen sein, ein Nationalpark mit atemberaubender Natur, wo man mitten im Nirgendwo campen kann, nur von Bäumen und Seen umgeben ist und wirklich keine Menschenseele weit und breit die Stille stört.
Es war ein wunderschönes Jahr mit vielen tollen Erlebnissen und ich kann es nur jedem weiterempfehlen, denn man macht Erfahrungen, die man sonst nirgendwo anderes machen würde und lernt Leute fürs Leben kennen. Es lohnt sich wirklich und nicht nur ich, sondern eigentlich alle anderen, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass es das beste Jahr ihres Lebens war.