Ein Beitrag von Antonia Nolde, Abiturientin der Fichtenberg-Oberschule im Jahrgang 2018-19.
Hi, ich bin Toni und ich habe 2019 mein Abi an der Fichte gemacht. Die*der eine oder andere würde sagen, dass ich durch die freiwillige Wiederholung der elften Stufe ein Lebensjahr „verschwendet” habe (wenn man diese Stufe dann aber an einer anderen, sehr tollen Schule mit einer „abstrakten” Außenfassade und einem wunderschönen Innenleben wiederholt und zusammen mit so tollen Persönlichkeiten sein Abitur macht, ist eher dieser Vorwurf eine Verschwendung). Letztendlich war es das Beste, was ich hätte machen können. Denn in dieser Zeit konnte ich mich nochmal gründlich umsehen und herausfinden, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Außerdem bin ich immer noch sehr stolz auf unsere Schule, vor allem jetzt, wo ich euren offenen Brief an die Bildungssenatorin gelesen habe.
Ich bin mit zwei Journalisten aufgewachsen und so war es irgendwie klar, dass ich mal „irgendwas mit Medien” machen möchte. Aber wie ihr euch vielleicht denken könnt, ist das ein sehr oberflächlicher Begriff für so eine riesige Landschaft. Da ich ein ziemlich großer Fan vom „jungen Angebot” (auch als funk bekannt) der öffentlich-rechtlichen Sender bin, hatte ich große Lust darauf, bei einer der Produktionsfirmen, die die verschiedenen YouTube- oder Instagram-Kanäle betreiben, ein Praktikum zu machen. Nun gibt es eine sehr wichtige Sache, die ich jeder*jedem Praktikant*in (schon in der neunten Klasse) ans Herz legen möchte, die*der sich für die Medienbranche interessiert: Die Standardformulierungen, die eure Lehrer*innen euch netterweise für die Bewerbungen beibringen, um euch einen guten Rahmen zu geben, könnt ihr streichen. Im Videojournalismus (wofür ich mich besonders interessiere) sind diese Satzbausteine vollkommen egal. Wichtig ist, was ihr könnt, wofür ihr euch interessiert und vor allem: was ihr lernen wollt.
Und dann ging es auch schon los. Auf 15 Bewerbungen kamen vier Antworten, drei davon Absagen. Ich habe mich initiativ, also nicht auf eine ausgeschriebene Stelle beworben, sodass viele Firmen meine Anfrage wahrscheinlich aus diesem Grund gar nicht erst beantworteten. Die einzige Zusage für ein Bewerbungsgespräch kam von Labo M, einer Produktionsfirma, die unter anderem die Formate Karayaka-Talk, Deutschland3000 und follow me.reports für funk produziert. Im Gespräch ging es aber um mehr, als ich erwartet hatte. Welche Videos ich besonders gut fand, welche eher nicht so gut und warum, all das wollte die CvD (Chef*in vom Dienst) der kleinen Redaktion von follow me.reports wissen. Als das Gespräch vorbei war, war ich mir mehr als unsicher, ob sie mich nehmen würden, zumal sie mir gesagt hatte, dass sie erst noch einen anderen Bewerber anhören wollte und sich am nächsten Tag melden würde. Mir war bis dahin konstant schlecht, weil ich (wie eigentlich immer) keinen Plan B hatte. Dann die Mail. Ich war dabei. Mit mir bestand die Redaktion aus vier Personen: Joana, Christoph und Karla. Christoph hatte als freier Journalist angefangen, Karla hatte ihr Philosophiestudium abgebrochen (hätte sie Herrn Panthel getroffen, wäre es vermutlich anders gelaufen) und ein Volontariat bekommen. Joana hatte bei einem anderen Format in der Firma angefangen. Wir saßen an einem großen Tisch am Fenster, einander gegenüber, alles sehr entspannt. Ich habe leider nur an der Drehvorbereitung teilnehmen können, denn die Drehs selbst fanden in der Zeit, in der ich da war, immer außerhalb Berlins statt. Ihr denkt, ihr könnt Recherche? Bad news: Könnt ihr nicht. Das musste ich auf die harte Tour lernen. Nein, das ist keine Primärquelle, bitte die originale Studie finden, nein, ein Recherchedokument legt man anders an und der schlimmste Teil (der später meine Lieblingsaufgabe wurde, weil man dadurch viel neues entdeckt hat) waren die Musikmeldungen (danke dafür, liebe GEMA). Eine weitere Aufgabe, die mir am meisten Spaß gemacht hat, war das Telefonieren mit möglichen Protagonisten für unsere Reportagen. Die Stimmung im Großraumbüro war mehr als angenehm und wir sind oft zusammen Mittagessen gegangen. Außerdem verdanke ich es der Volontärin in meiner Redaktion, dass ich die perfekte Hochschule für mich gefunden habe, aber dazu später mehr.
Das Praktikum bei follow me.reports war von Juli bis Ende Oktober gegangen. Wenn ich jetzt nicht noch ein Praktikum machen würde, dann würde der Winter noch langweiliger als sonst. Und dann, einige Wochen vor dem Ende meines Praktikums kam die heilige Botschaft: Eine Zusage für ein weiteres Praktikum bei der Kooperative Berlin!
Die nächsten drei Monate stand mein Leben KOPF. Denn dieses Praktikum war viel anstrengender. Nicht nur, dass der Weg deutlich länger war (unsere Familie hat kein Auto und ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, wie es wäre, in Coronazeiten mit dem Fahrrad anzureisen), es war auch eine vollkommen andere Arbeitsweise. Meine treuen Begleiter wurden mein Laptop und mein Tretroller aus Kindertagen (Grüße an das kleine Mädchen, das mir mitgeteilt hat, dass auf diesem Gefährt nur Babys fahren). Damit machte ich alle Botengänge. Im Büro gab es Hot Desking, jeden Tag setzte man sich also in einen anderen Raum und kommunizierte fast ausschließlich über Messenger. Aber hey, wir hatten zwei Bürohunde, die die Arbeitsmotivation EXTREM gesteigert haben. Alle Abläufe waren sehr detailliert geregelt. Montagmorgen das Weekly mit einer Lockerungsübung, dann in die Teams (ich war im Team „Story”, das umfasst alle YouTube-Formate, die die Kooperative produziert), dann wieder an den Schreibtisch. Anfangs habe ich bei einem Format gearbeitet, das in einem Studio gedreht wird. Wofür waren die Praktikant*innen zuständig? Für das Catering (Tipp: Humus, Guacamole, irgendeine Creme aus Gemüse und Brot – ihr seid die Sieger der Herzen). Das liegt daran, dass die meisten der Regisseure von zu Hause arbeiten und deshalb keine Drehvorbereitung brauchen. Nach dem ersten Drittel meines Praktikums ist das Format ausgelaufen, die letzten Folgen bekamen von funk ein Budget von 30,-€. Was jetzt? Ganz ehrlich: Von da an fühlte ich mich ziemlich einsam. Ich hatte keine wirkliche Bezugsperson, Kontakte zu knüpfen war wegen der Onlinekommunikation schwierig, aber dafür hatte ich jetzt die Chance, einen Einblick in andere Formate zu gewinnen (Jesus, ich klinge wie ein Boomer). Hier konnte ich meine „heftigen” Rechercheskills anwenden und so allen möglichen Redaktionen und Projekten helfen.
Im Januar war das Praktikum vorbei und jetzt kam die stressigste Zeit meines Lebens. Denn ich hatte (wie immer) keinen Plan B. Zwar hatte ich mehrere Hochschulen auf meiner Liste, die alle einen ähnlichen Studiengang anbieten. Dabei handelt es sich um ein sehr praktisch geprägtes Studium, in dem du anhand von Projekten alles rund um Film lernst, also Drehbuch, Regie, Kamera, Ton, Schnitt, und so weiter. Das Problem: Die eine forderte einen NC, den ich nicht hatte, die andere forderte einen NC, den ich hatte, aber es dauerte noch, bis sie Bewerbungen annahmen und die nächste forderte mehrere Filme oder zumindest Drehbücher. Kein Problem, aber ich konnte nicht so lang warten. Karla hatte mir die perfekte Hochschule empfohlen, hier in Berlin, eigentlich fast neben Labo M: die Beuth Hochschule.
Karla ist großartig und hat mir ihre Bewerbungsmappe gezeigt, damit ich einen Überblick hatte, wie sie aussehen muss. Zehn Fotos, drei Porträts, ein Motivationsschreiben, eine Filmbeschreibung, ein Lebenslauf. Puh. Bis zum 02. Februar war es ein einziges Gerenne. Fotostudio, hallo, ich hatte ihnen eine Mail geschickt, hoppla, an den Fotos sind weiße Ränder, ja, weil sie die Fill-Out-Funktion vergessen haben, okay, dann mach ich das hier am Automaten und komme morgen früh wieder, jetzt muss ich den Hund rausbringen, okay, dann lauf ich mit ihr halt schnell zum Copyshop, ups, Stick vergessen, wieder nach Hause, achso, ich hatte ihn die ganze Zeit in der Tasche, dann kann ich ja nochmal schnell mit dem Bus los, okay, morgen dann abgeben, krass, der Campus ist ja riesig, wo muss ich das jetzt hinbringen, die Menschen da vorne sehen nett aus, vielleicht kann ich die mal fragen, oh, die studieren ja das gleiche wie ich (hoffentlich) bald, puh, geschafft.
Nur, dass es eben noch nicht geschafft ist. Ich muss eine Befähigungsprüfung bestehen, bei der man ein Thema genannt bekommt, innerhalb von 45 Minuten eine Geschichte schreiben muss und dann 24 Stunden Zeit hat, sie in acht Bildern abzubilden und diese zu entwickeln. Ihr dürft raten, warum sie jetzt verlegt wurde.
Solltet ihr auch Interesse an Journalismus haben, kann ich euch die sogenannte Reporterfabrik wärmstens empfehlen und wünsche euch ansonsten viel Glück auf eurem Weg.
Toni