Eine Kurzgeschichte eines:r Schüler:in aus der 8. Klasse (2021/2022). Dieser Beitrag entstand im Zuge des Deutschunterrichts.
Wieder schrie sie mich an. Ich würde alles falsch machen. Falsch, dass ich keine Umarmungen mag. Falsch, dass ich nicht genügend Zeit mit ihr verbringe. Falsch, dass ich so bin, wie ich bin. Und ich hatte dieses Gefühl, dass ich sie zum Schweigen bringen muss. Mit Gewalt. Ich kenne dieses Gefühl. Ich hatte es schon zu oft. Jedes Mal stärker. Ich war in meinen Gedanken und hörte nicht mehr hin. Sie beschwerte sich ausführlich über jede Eigenschaft meines Vaters. Sowie über seine Freundin. Langsam, angespannt und voller Wut drehte ich mich um. Ging die Leiter zu meinem Bett hoch. Setzte meine Kopfhörer auf. Immer lauter. Bis ich den Hass und die Wut nicht mehr hörte. Bald schlief ich ein.
Am nächsten Morgen war die Situation angespannt. So wie immer. Ich beeilte mich, aus dem Haus zu kommen. Schnell lief ich zur Bushaltestelle und wartete. Ich war viel zu früh dran, doch jede Minute, die nicht zuhause ist, ist eine freie Minute. Als der Bus kam, setzte ich mich erleichtert auf einen freien Platz. Auf die S-Bahn musste ich glücklicherweise nicht lange warten. Beim letzten Stückchen Fußweg brodelten die Gefühle von gestern Abend noch einmal hoch. Sie brodelten ständig in mir, immer stärker, von Tag zu Tag. Ständig habe ich das Gefühl, ich explodiere vor Wut, Hass und ein wenig Trauer.
In den ersten beiden Stunden hatten wir Deutsch. Ich schrieb einen Artikel. Beim Schreiben schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Ich hasse diese Frau, warum muss ich mit ihr leben? Zu oft habe ich übers Abhauen nachgedacht, doch nie durchgezogen – warum habe ich so viel Angst? Aber ich kann nicht allein leben, ohne Erziehungsberechtigten. Ich könnte nicht… Eine Stimme unterbrach mich und meinte, ich solle weiterarbeiten. Ich schaute auf mein Blatt und sah, dass ich kaum angefangen hatte. Ich verbannte meine schlimmen Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirnes. Und schrieb den Artikel zu Ende. In der Pause flohen die grässlichen Gedanken aus ihrem Gefängnis. Ich hörte dem Gespräch meiner Freunde schon gar nicht mehr zu. Ich versuchte die Gedanken loszuwerden. Ich war so abgelenkt, dass ich nicht einmal merkte, wie sich meine Finger durch mein Pausenbrot bohrten. Irgendwer bemerkte es. Irgendwer sprach es laut aus. Meine eben noch in ein Gespräch verwickelten Freunde schauten erst auf mein Brot, dann auf mich. Ich erwachte aus meinen Gedanken und sah, was passiert war. Wir fingen alle an zu lachen. Ein Gefühl von Freude breitete sich wie eine Welle in meinem Körper aus. Auf meinem Heimweg schwand die Fröhlichkeit wieder und zuhause angekommen stand meine Mutter in der Tür und ich verdrehte die Augen. Natürlich so, dass sie es nicht bemerkte. Es war ein normaler Nachmittag, wie jeder andere. Voller Hass und Anspannung zwischen meiner Mutter und mir. Ich ging ihr aus dem Weg und meine Mutter schimpfte über meinen Vater. Ich hielt es nicht mehr aus, nicht einmal ein Buch oder mein Handy konnten mich ablenken. Ich spürte, wie der Gedanke, zu verschwinden, immer stärker wurde und Überhand gewann und die Angst nachließ. Doch ich sagte mir immer wieder, dass ich ohne Erziehungsberechtigten nichts machen könnte. Ein anderer Gedanke trägt auch bei, dass ich nicht schon weg bin. Und zwar, dass ich da jetzt durchmuss, dass, wenn ich abhaue, nur bezeugt, dass ich zu schwach bin für das Chaos zuhause. Außerdem weiß ich nicht, wohin, was oder wer. Ich möchte meine Freunde nicht verlassen. Beim Abendbrot war ich still, wie immer. Mein Bruder redete mit meiner Mutter, die dann wieder anfing, sich endlos über meinen Vater zu beschweren. Und sich aufzuregen, dass ich so wenig rede. Nach dem Beenden des Essens ging ich sofort ins Bett und versuchte erfreuliche Gedanken zu fassen. Ich versuchte, meinen Hass zu bändigen. Ich redete mir selbst ein, dass ich das Monster bin, weil ich versuche, ihr aus dem Weg zu gehen. Ich bin das Monster. Ich. Etwas in mir protestierte, und konnte es nicht akzeptieren, dass ich das Monster sein sollte. Ich möchte ihn loswerden. Zeichnen, zeichnen hilft immer. Ich zeichnete Zerstörung. Meine Mutter sah es und wollte auf die Zeichnung fassen. Ich stoppte sie. Sie sagte, ich sei so aggressiv, bald würde ich anfangen, sie zu schlagen. Im Bett versuchte ich wieder, mir einzureden, dass es meine Schuld ist. Doch unbewusst weiß ich immer, dass ich mich nie überzeugen kann. Ich bin schuld, ich gehe ihr aus dem Weg. Aber sie ist erwachsen, sollte sie da nicht den ersten Schritt machen? Bin ich schuld? Ich versuche, meine Gedanken zu wenden, aber das Gefühl bleibt. Es wird für immer bleiben. Das ausgewaschene Grün meines T-Shirts spiegelte meine Gefühle wider. Meine Sicht wurde schwarz und ich schlief mit wässerigem Auge ein. Mitten in der Nacht wachte ich auf und hatte dieses verzweifelte Gefühl wegzulaufen.
Hinweis der Redaktion: Wenn du als Schüler:in Hilfe brauchst, wende dich gern und vertrauensvoll an unsere Sozialpädagog:innen (Frau Müller & Frau Plazek, Büro in der MEB im Erdgeschoss), die Vertrauenslehrkräfte oder deine Klassenleitung.