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Gendergerechte Sprache – ein Konstrukt, das oft missverstanden wird

Ein Kommentar von Alina N. G. (LK Deutsch Q1, Fr. Schubert)

Jeder kennt es doch: Eine erneute Diskussion zur Gendersprache bei einer Familienfeier. Oma Ingrid behauptet, das Gendern sei Unfug und dieses „Empfindlichkeitsgedöns“ bringe doch gar nichts. Cousine Marie erwidert daraufhin verärgert, dass es beim Gendern darum ginge, die Realität abzubilden, denn es sei heutzutage eben nicht mehr richtig, dass Wörter wie „Chef“ nur männliche Assoziationen hervorrufen würden, während das Wort „Putzfrau“ die Vorstellung einer Frau erwecke. Tante Kristin hinterfragt ungläubig, ob Gendern eine solche Gleichberechtigung überhaupt bewirken könne. Tatsächlich solle etwas in der Realität passieren, wie beispielsweise geschlechtsunabhängige Gehälter.

Eine Debatte, in der sich die Gemüter wohl nicht mehr spalten könnten. Aber tatsächlich betrifft es die Jugend, die von einer solchen Sprachreform am meisten betroffen sein wird. Sollte also gendergerechte Sprache verpflichtend an Schulen gelehrt und angewendet werden?

Gendergerechte Sprache. Ein Konstrukt, das oft missverstanden wird.

Kritiker:innen der Debatte, wie Svenja Flaßpöhler, führen an, dass eine solche Verpflichtung einen sehr schmalen Pfad herbeiführe, bei dem das Abweichen vom Mainstream einen großen Shitstorm für die Person bedeute. Schreibe ein:e Schüler:in in einem Bericht im generischen Maskulinum – so wird die „nicht-gendergerechte“ Sprache genannt – so sei eine Hasswelle ein zu weit gegriffenes Mittel der Erziehung. Dies stimme zweifellos, allerdings gäbe es seit jeher Grenzen in der Sprache, die nicht überschritten werden durften, erklärt Stephan Anpalagan, ein deutscher Diplom-Theologe und Autor. Betrachten wir Debatten um Wörter wie das N-Wort, Z-Wort etc. so erkennt man deutlich: Sprachliche Grenzen sind kein Symptom einer empfindlichen Generation Z.

Eine Verpflichtung zur gendergerechten Sprache bürge in der Gesellschaft, aber speziell an Schulen die Gefahr einer Polarisierung, so wird weiter das eigentliche Potenzial der gendergerechten Sprache missverstanden. Das Aufdringen einer Sprachreform, so die Gegner:innen der Debatte, führe nicht zu Akzeptanz, Toleranz und Verständnis, sondern stattdessen zu einem Beharren auf der entgegensetzten Meinung. Eine Gefahr, die wir nicht bei der Erziehung der nächsten Generation eingehen dürfen? Doch, genau dies ist nötig, um eine Gesellschaft zu formen, die nicht durch eine Monarchie der Männer in der Sprache geprägt wird. Eine Verpflichtung der Gendersprache an Schulen verhindert sogar eine Polarisierung, indem jeder an eine neutrale Sprache herangeführt wird. Bleibt das Gendern freiwillig, so droht eine Polarisierung, indem genderbefürwortende Schüler:innen genderablehnenden Schülern gegenüberstehen.

„Weibliche Endungen zeigen doch nur, dass Frauen schutzbedürftig sind.“ Ein Argument, das selbst Frauen wie die feministische Linguistin Luise Pusch anbringen. Feministen, die doch eigentlich selbst für die Geschlechtergleichstellung einstehen, lehnen Gendersprache ab. Absurd, nicht wahr? Die gendergerechte Sprache betone tatsächlich genau in den gesellschaftlichen Bereichen das Geschlecht, in denen dies zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr nötig sei. Wörter wie „der Lehrer“ würden ebenso wenig nur Männer wie „die Person“ nur Frauen meinen. Grammatikalisch absolut korrekt. Tatsächlich beweisen unsere Assoziationen bei Personenbezeichnungen genau das Gegenteil, wie die Journalistin und Autorin Stefanie Lohaus erkennt. Wer stellt sich bei „der Chef“ eine Frau vor? Niemand, genau. Und genau dort liegt das Problem. Nicht einmal davon die Rede, dass sich wohl noch weniger als niemand eine diverse Person vorstellen würde. Und dort liegt die Verantwortung der heutigen Erziehung. Durch gendergerechte Sprache Stereotypen und Vorurteilen die Luft abdrehen und eine Bildung schaffen, in der Diskriminierung keinen Platz findet. „Putzfrau“ und „Krankenschwester“. An der Stelle merkt wohl jeder, dass Wörter geschlechtsspezifische Assoziationen hervorrufen. Damit sich Tom aber genauso vorstellen kann, (Achtung!) eine Pflegefachkraft zu werden wie Lisa, ist es wichtig, schon in der Schule eine gendergerechte Sprache zu etablieren.

Ein Argument der Gegenseite, welches der Journalist und Schriftsteller Jan Weiler anbringt, das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter werde nicht durch Sprache, sondern „reale“ Reformen erreicht, wiegt schwer. Eine „reale“ Gleichstellung hätte Rückwirkungen auf die Sprache, so weiter. Die Gendersprache würde wohl weniger etwas daran ändern, dass Ungleichheiten bei den Gehältern beseitigt werden. Dem würde wohl jeder zustimmen, egal ob Gender-Verfechter oder nicht. Aber um diesen direktkausalen Zusammenhang geht es auch gar nicht. Sprache verändert das Denken. Diese Veränderung des Denkens bewirkt Reformen, wie gerade angesprochen beispielsweise im Arbeitswesen. Gendersprache schließt andere „reale“ Reformen nicht aus, sondern bietet die Grundlage genderneutralen Denkens. Dabei stört schon das Wort „real“. Sprache ist „real“, gendergerechte Sprache bewirkt „reale“ Auswirkungen, denn Sprache ist das wichtigste Instrument gesellschaftlichen Zusammenlebens. Und dieses Denken sollte schon von Beginn an in der Jugend verankert werden. Ein Denken, welches in Zukunft endlich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu einer Gleichberechtigung aller Geschlechter führt.

Zur gendergerechten Sprache verpflichten, sei eine Bevormundung des Individuums, erläutert der Komiker und Autor Jürgen von der Lippe. Ein solch negativ konnotiertes Wort, wenn man betrachtet, dass dieser so einfache, nicht einmal komplexe Prozess der sprachlichen Umgewöhnung Diskriminierung minimiert, Stereotypen entgegenwirkt und Menschen Gehör verleiht, für die eine sprachliche Repräsentation der erste Schritt in Richtung der vielen Privilegien von Frau und Mann bedeutet.

Wenn gendergerechte Sprache an unserer Sprache auf großen Widerstand trifft, so ist der Diskurs zu suchen, um die Ursachen zu erkennen. In den wenigsten Fällen stellt sich diese als Kritik an der Geschlechtergleichstellung heraus. Als Schulgemeinschaft besitzen wir eine offene Diskursethik, in der produktiv argumentiert wird. Als Schulgemeinschaft finden wir Kompromisse, in der sicher keiner durch eine Verpflichtung gendergerechter Sprache unterdrückt wird. Als Schulgemeinschaft streben wir allerdings auch eine inklusive Sprache an, in der Diskriminierung keinen Platz findet.
Und an genau dieser Stelle sollte sich jeder von uns einmal fragen: Wäre die Umgewöhnung zu einer gendergerechten Sprache wirklich ein so großer Eingriff in unsere Freiheit?