Eine Rezension von Janne Knieke (Q3).
Als „Märzgefallene“ bezeichnet man hunderttausende Menschen, vorwiegend Beamte und Angestellte, die nach den Reichstagswahlen im März 1933 eine NSDAP-Mitgliedschaft beantragten, um im neuen Regime ihre Karrierechancen zu verbessern. Das gleichnamige Buch von Volker Kutscher thematisiert auf eindrückliche Weise, wie die Gesellschaft und die staatlichen Institutionen der Weimarer Republik unter der nationalsozialistischen Machtergreifung zusammenbrechen. Es wurde 2014 veröffentlicht und ist der fünfte Teil einer, in der Zwischenkriegszeit spielenden, historischen Krimiserie.
Anhand der Person des Kriminalkommissars Gereon Rath nimmt der Leser Teil an einer Zeitreise nach Berlin im Jahr 1933. Der eigentliche Mordfall macht, wie immer bei den Kutscher-Romanen, nur einen Teil des Reizes aus. Es geht um den Mord an einem der vielen Kriegsinvaliden in Berlin. Rath findet heraus, dass hinter einer Kette mysteriöser Einzeltaten der Versuch eines Verbrecherkartells steckt, eine Beute des Ersten Weltkriegs zu sichern.
Doch der Kriminalfall selbst, so spannend seine Lösung auch erzählt wird, dient zugleich als Vehikel, einen wichtigen Aspekt des Untergangs der Weimarer Republik zu beleuchten: die Unterwanderung des Sicherheitsapparats durch die Nazis – oder eben die „Märzgefallenen“, die dem Buch den Namen geben. Die gesamte Gesellschaft scheint zu kippen und Rath, der aus einer Kölner Zentrumsfamilie stammt, wird Zeuge, wie die Demokraten immer stärker die Kontrolle verlieren. In Berlin lässt sein engster Mitarbeiter und Freund auf einmal Sympathien für die Nazis erkennen und wechselt zur Politischen Polizei. In seiner rheinischen Heimat verliert der Familienfreund und Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer den politischen Rückhalt.
Durch eine Mischung aus fiktiven und realen Personen gelingt es Volker Kutscher eine Verflechtung zwischen Roman und Wirklichkeit herzustellen. Historische Ereignisse wie der Reichstagsbrand werden detailsicher in die Handlung eingebaut. Die Berliner Schauplätze sind gut recherchiert. Volker Kutscher, ein ehemaliger Lokalredakteur und studierter Lehrer, beherrscht sein Handwerk, ist aber sicherlich kein großer Stilist. Er lässt einige seiner Figuren Dialekte sprechen. Das Buch und die ganze Serie werden durch wiederkehrende Motive belebt, wie die Sorge um Raths Hund oder den kuchenessenden Leiter der Mordinspektion, Ernst Gennat.
Die Geschichte zur Lösung des Falles ist aus vielen unterschiedlichen Handlungen aufgebaut, mit einer Vielzahl an Personen und Personenkonstellationen, die wiederkehrenden Motive bieten dem Leser immer etwas Bekanntes, das ihm in den vielen neuen Situationen Orientierung bietet.
In dem Roman geraten viele Institutionen der Weimarer Republik massiv unter Druck. Ein Oberkommissar der Polizei wird zwangsversetzt, da er bei einer sozialdemokratischen Wahlveranstaltung gesehen wurde. Die Medien agieren als verlängerter Arm der Nationalsozialisten und versuchen, jegliche öffentliche Katastrophen oder Probleme den Juden anzuhängen. Und die Reichstagswahlen werden von der Polizei manipuliert, indem sie hunderte Kommunisten systematisch festhalten, damit diese nicht wählen gehen können.
Die in dem Buch beschriebene politische Situation wirkt umso beunruhigender, wenn man gleichzeitig die aktuellen Nachrichten verfolgt: der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD, die Ausschreitungen gegen Ausländer und die zunehmende Radikalisierung an den Rändern der Gesellschaft, verdeutlicht durch die zusehends aggressiven Proteste gegen die Kanzlerin. Eine pikante Stelle im Roman ist, als mehrere Schutzpolizisten einem aufgebrachten SA-Mob den Weg zur Wohnung des ehemaligen Vize-Polizeipräsidenten freigeben, einem Juden. Vergleichbar mit den Aussagen der Dresdener Polizei, vom Tag der Deutschen Einheit, in der sie den Demonstranten der Pegida „einen erfolgreichen Tag wünschen.
Volker Kutschers Bücher bieten eine lebendige Ergänzung zu jedem Geschichtsbuch und sind gerade für Politik- und Geschichtsinteressierte sehr empfehlenswert.