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„Weggesperrt“ (Grit Poppe)

Eine Rezension von Lennart-Paul Krasselt (Q4)

In dem 2009 von Grit Poppe veröffentlichten Jugendroman „Weggesperrt“ wird die Geschichte der fiktiven Figur Anja Sanders beschrieben, die zu DDR-Zeiten verschiedene Einrichtungen der Jugendhilfe besuchen muss, die in der Öffentlichkeit der Umerziehung von Kindern und Jugendlichen zu „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten“ dienten.

Nachdem Anjas Mutter einen Ausreiseantrag gestellt hat, wird sie von der Stasi verhaftet und Anja wird zunächst unfreiwillig in ein Durchgangsheim gebracht. Nach einem Fluchtversuch und einem tätlichen Angriff gegen eine Erzieherin in einem Jugendwerkhof, in den sie geschickt wurde, muss Anja in den gefängnisähnlichen Geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau, in dem militärischer Drill, ein unverhältnismäßiges Strafsystem, monotone körperliche Arbeit und ideologische Schulung herrschen und der von vielen Insassen auch als „Hölle beschrieben wird.

Das Werk zeichnet sich zunächst vor allem durch seine rasante Handlungsabfolge aus, die nicht nur die Spannung während der gesamten Leseerfahrung aufrecht erhält, sondern auch dafür sorgt, dass der*die Leser*in keine Chance bekommt, sich von dem gerade Gelesenem zu erholen und so die ganze Zeit eine Gefühlsspanne, die von Mitleid bis Entsetzen reicht, durchlebt.

Poppe schafft zudem durch präzise Beschreibungen und das Nutzen von DDR-gebundenen Redewendungen oder Begriffen eine enorme Authentizität, die den*die Leser*in auf eine wahrhaftige Zeitreise schickt.

Während im Verlauf des Buches unter anderem auch E.T. als Motiv dient, bleibt vor allem das Gedicht „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke, beziehungsweise das im Gedicht behandelte Lebewesen, als wiederkehrendes Symbol für die Gefangenschaft Anjas im Gedächtnis.

Das Werk richtet, als erster Jugendroman, das Augenmerk auf eines der weniger betrachteten Themen der DDR-Zeit und stellt dadurch einen enormen geschichtskulturellen Beitrag dar. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei der Protagonistin des Romans um eine fiktive Figur handelt, beruhen die beschriebenen Umstände, unter anderem in den Jugendwerkhöfen (inklusive Torgau), auf Tatsachen. An dieser Stelle überzeugt das Buch vor allem durch seine ausführliche und präzise Recherche, sowie die Bereitschaft darüber zu reden. War vor allem der Geschlossene Jugendwerkhof zu DDR-Zeiten ein absolutes Tabu-Thema, was sogar soweit ging, dass entlassene Jugendliche unterschreiben mussten, nichts über die dortigen Vorgänge zu erzählen, so geht „Weggesperrt“ mit einer beeindruckenden Offenheit auf die dortigen Misshandlungen und menschenunwürdigen Bedingungen ein, unter denen die Jugendlichen leben mussten.

Bei „Weggesperrt“ handelt es sich definitiv um ein Buch, das eine Lese-Empfehlung verdient. Es überzeugt nicht nur durch einen authentischen und qualitativen Schreibstil, sowie ein ständig anhaltendes  Spannungsniveau, sondern auch durch die Tatsache, dass es ein Thema intensiv und präzise behandelt, dem durch die geschehenen Ereignisse mehr Aufmerksamkeit zusteht, als es ihm bisher zustatten gekommen ist.