Allgemein, Politik

Analyse des Songs „Wagenburg“ (Kettcar)

Der Titel "Wagenburg" findet sich auf dem Album "Ich vs. Wir" (veröffentlicht 2017) der Band Kettcar.

Diese Liedtextanalyse entstand als freiwilliger Beitrag im Rahmen des Leistungskurses Politikwissenschaft Q1. Der*die Autor*in möchte anonym bleiben. In den PW-Kursen des ersten Oberstufensemester wird das Themenfeld „Gegner der Demokratie“  unterrichtet. Der Song „Wagenburg“ erschien auf dem 2017 veröffentlichten Album „Ich vs. Wir“ .

„Wer genau ist da gemeint? – Der Titel basiert auf dem Song „Wagenburg“, wo das Ich und das Wir in verschiedenster Konstellation gegeneinander krachen, da spielen wir mit Ambivalenzen. ,Wir sind das Volk´meint ja – Stichwort Pegida – am Ende ,ich bin das Volk´, das ist eine Ansammlung von Egoisten, die alles für sich wollen und sich dafür unter einem völkischen Begriff sammeln.“ Das antwortete Marcus Wiebusch auf die Frage nach der Bedeutung des Albumnamens „Ich vs. Wir“, das er gemeinsam mit seiner Band Kettcar nun nach und nach vorstellt. „Wagenburg“ ist seiner eigenen Aussage nach, Grundlage des Albumtitels und rückte damit in den Fokus unseres Leistungskurses der Politikwissenschaft. Ich möchte die kurze Analyse des Liedtextes an dieser Stelle fortführen.

Bevor dies jedoch geschehen kann, ist zunächst eine Einordnung der Produzenten und ihrer politischen Grundhaltung notwendig. Als Marcus Wiebusch gemeinsam mit fünf weiteren Herren die Band Kettcar im Jahr 2001 gründete, war er bereits bekannter Musiker der Punkszene. Die Musikgruppe „but alive“ gehörte – nach Angaben ihrer Fans –  zu den führenden Bands der Punkbewegung. Es werden Vergleiche, in der Popularität, mit Wizo aufgestellt, die Band wird als hochpolitisch, linksradikal und um einiges inhaltreicher als die Mehrheit der Punkrockgruppen bezeichnet. Als wichtigster Akteur der Band „but alive“ galt Marcus Wiebusch, der diese Position auch in „Kettcar“ innehat. In einigen Biografien wird die Band als etwas weniger politisch motiviert betrachtet, als dies noch bei „but alive“ der Fall gewesen sei. Dem entgegenzustellen ist jedoch zweierlei: Erstens schart sich noch immer eine sehr politische Zuhörerschaft um die Gruppe. Das ließ sich in den Kommentaren zu dem Lied erkennen, in dem viel diskutiert wurde und die Nutzer sich selbst als linksradikal betitelten. Demnach ist das Klientel für eine angeblich nicht politische Band sehr auf Politik gerichtet. Zweiteres lässt sich ebenfalls an Kommentaren, Rezension und Selbstdarstellung der Gruppe erkennen. So sieht Wiebusch sein Album als „Vermittlung von Inhalten“, und will „eine(r) Haltung, von der ich zutiefst überzeugt bin, kraftvoll Gehör verschaffen.“ Äquivalent ist die Meinung der breiten Mehrheit seiner Zuhörer. Es ist demnach bei der Liedanalyse notwendig auch auf Merkmale für die politische Grundhaltung, die in Bezug auf Wiebusch und Kettcars Vorgeschichte vermutlich links zu verorten ist, zu achten und diese bei der Herausarbeitung der Botschaft des Liedes einzubeziehen.

Diese kann im Allgemeinen als die Ablehnung der Entstehung einer „Ansammlung von Egoisten“, die sich rechten Ideen zuwendet, beschrieben werden. Belege finden sich in dem oben aufgeführten Zitat, indem eben dieser Egoismus auch als Ausgangspunkt für das Lied „Wagenburg“ genutzt wurde. Die Zielgruppe ist nach Angaben von Wiebusch weniger der Egoist selbst, sondern die Personen, die nicht zur besorgten Bürgerschaft zählen. Der „Wutbürger“ ist Objekt des Textes. Das ist an verschieden Stellen belegbar. Zum einen bilden „die besorgten Bürger“ das einzige klar benannte Subjekt des Lieds. Während beinahe im gesamten Text nur zwischen Eigenschaften des Wir und des Ichs unterschieden wird, ist der besorgte Bürger in der zweiten Strophe Teil der „Gruppe“, die eben diese sucht, also aus einem Ich ein Wir machen will. Zum anderen wird regelmäßig ein Pegidabezug hergestellt. So wird der Indentifikationsruf der Bewegung „Wir sind das Volk“ aufgegriffen, ebenso wie das oft genutzte Unwort des Jahres 2015 „Gutmensch“.  Die Bewertung des „besorgten Bürgers“ im Text weist Merkmale linksradikaler Musik auf (Definitionsnutzung von Ulrike Madest zu linksextremer/-radikaler Musik). So findet sich im Refrain die Bezeichnung „Egoschwein“. Das gilt laut Madest als Hinweis für linksextreme Hintergründe, da eine Dehumanisierung, in Musik solcher Grundhaltungen, üblich ist. Damit geht auch die Darstellung des „besorgten Bürgers“ als schlichtweg böse einher. Hier kann die Anspielung auf den Hitlergruß, „Ein wir hebt gleichzeitig den Arm“, als Beleg gesehen werden. Dennoch kann nicht von einem linksextremen Stück gesprochen werden. Das ist sowohl an Quantität als auch Qualität der Brücken zum Linksextremismus festzumachen. Die beiden genannten Stellen sind die einzigen, die als solche Verbindung gesehen werden könnten, jedoch werden sie nur benannt, nicht jedoch in irgendeiner Weise als zu bekämpfen dargestellt. Darum handelt es sich meines Erachtens nach mehr um eine subjektive Beschreibung des Wutbürgertums, mit stark linker Ausprägung. Das ist mit der ausgemachten Grundposition ebenfalls übereinstimmend. Der übrige Liedtext enthält eben diese Erklärung und Einschätzung der Wutbürger. So beginnt das Lied mit der Feststellung, dass der Wutbürger die sozialen Medien als Kanal nutze und von „Selbstverwirklichung träume“. Es folgt der erste Vergleich mit dem „Wir“, das „raus auf die Straße gehe“ und nach Selbstermächtigung strebe. Hier ist der Bezug zum populistischen Moment herzustellen. Dieser beschreibt eine unzufriedene Bürgergruppe, die unter anderem durch die Enthemmung der Medien, zu der Überzeugung kommt, von einer „politischen Klasse“ übergangen und vernachlässigt zu werden. Darum wolle man der einem aufgezwungenen politischen Ohnmacht entfliehen, durch Protestmarsch und -wahl. Überspringt man vorläufig eine Strophe erkennt man eine Fortsetzung der Beschreibung des populistischen Moments. „Ein wir ist Sturm auf die Bastille“ eröffnet diese und wird fortgesetzt mit dem Aufruf „Fight the Power“. Hier kann in zweierlei Richtung gedacht werden. Die eine ist die bereits eingeführte. Der Sturm auf die Bastille war ein Sinnbild der französischen Revolution, die gegen die politischen Machthaber gerichtet war, welche keine zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten. Genau dieser Vorwurf wird auch bei den „Modernisierungsverlieren“, dem Klientel des populistischen Moments, laut. Hier ist die Rede von einer Elite, die sich vom Volk, der Mehrheit also, nichts sagen ließe. Darum „Fight the power“. Der andere Ansatz beinhaltet die bereits ausgemachte negative Sichtweise der Band auf das Liedobjekt. Bei der Französischen Revolution wurden die Grundsätze Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit erkämpft und bei „fight the power“ handelt es sich um einen Song von „Public Enemy“, die in diesem die rassistische amerikansiche Regierung anprangern. Wer linke Ansichten über Rechts kennt, der weiß, dass jene diesen vorwerfen, die Gleichheit und Brüderlichkeit einzuschränken, sowie die Menschlichkeit zu verletzten. Es entsteht ein Widerspruch zwischen dem von den Populisten kommunizierten Anti-Establishmentkampf und den genutzten Symbolen der Rechten, die in der Bedeutung der Zeichen enthalten sind. Es könnte eine absichtliche Nutzung solch anzweifelbarer Symbole vorliegen um die Falschheit und Unbegründbarkeit der rechten Idee darzustellen.

Diesen beiden Ansätzen werde ich nun folgen. Ersterer, der sich besonders mit dem Erklären der im Text genutzten Zeichen widmet, wird zuerst bedient: Die vierte Strophe startet mit der Definierung des Ichs als eines, dass „Gutmensch“ sagt. Dieser Begriff wurde in den letzten drei Jahren (vor allem durch die Pegidabewegung) negativ konnotiert und ist inzwischen die Verachtung eines engagierten Deutschen, der Flüchtlingen bei der Integration zur Seite steht. In Kontrast gesetzt wird dieses Ich-Verhalten daraufhin mit dem Wir, dass aktiv werden und sich stark fühlen will. Hier greife ich nun auf die zweite Strophe zurück in der das Ich als „erhaben über kollektive Zwänge“ beschrieben wird. Das Wir ist in dieser Strophe eine „fiese Menschenmenge“. Die Korrelation beider Strophen ergibt, dass sich das Wir keineswegs wie der Gutmensch engagieren will, sondern in entgegensetzte Richtung. Die letzte Strophe vor dem Refrain bescheinigt einem Wir eine Kenntnis über Solidarität, hingegen das Ich nur für sich selbst kämpfe. Das Wir nenne sich das Volk und es folgt die Ellipse „Montagsmarsch Pegida“. Auch hier ergibt der Zusammenhang der Strophe ein anders Bild als die Betrachtung jedes Verses. Mag es zunächst so scheinen als würde ein Wir Solidaritätsgefühl bewirken, vielleicht sogar Solidarität mit anderen, und ein Wir das Volk bilden und so wichtig für die Funktionstüchtigkeit der Demokratie sein, verändert das Gesamtbesehen den Eindruck. Es ergibt sich, dass ein Wir nur untereinander „solidarisch“ ist. Die Nutzung des Wortes „schreien“ erzeugt einen fast schon lächerlich wirkenden Anspruch dieses Wirs, ein Volk zu sein, dass aber eigentlich nur aus den Pegidaanhängern und nicht aus einer gesamten Bevölkerung bestehe (das zeigt sich in dem Folgevers „Montagsmarsch Pegida“ ebenso, denn in diesem wird die Gruppe definiert). Der Refrain erläutert die Entwicklung vom Ich zum Wir als einen Prozess, in dem das „Egoschwein“ nach wie vor nur an sich denkt, und die anderen „Egoschweine“, die das gleiche wollen, statt dass eine Gemeinschaft eine gesamtsolidare Einstellung entwickelt. Das zeigt auch die darauffolgende Feststellung, ein Wir sei nur Ansammlung vieler Ich, die eine Wagenburg formieren wollten. Das erlaubt eine weitere Brücke zum populistischem Moment, der eine Art Wohlstandschauvinismus als signifikantes Merkmal nennt. Eben dies kann mit dem Bild der Wagenburg kenntlich gemacht werden. Diese ist eine Schutzform der Siedler Amerikas vor Übergriffen durch fremde Völker. Nach dem Refrain wird das Wir als eine Einheit beschrieben, die „im Takt klatscht“ und „gleichzeitig den Arm hebt“. Eben diese Einheit mache auch das Ich kenntlich, in dem es durch Onlinepetitionen die Vielzahl an Gleichgesinnten zeigt. Hier kann interpretiert werden, dass Kettcar sich über die Stumpfheit der Zurschaustellung der Größe echauffiert. Das erhärtet sich in der sechsten Strophe, die zum Schluss wiederholt wird und mit der Auflösung beginnt, wer den Wir und Ich ist. So heißt es, dass ein Wir „seinen öffentlichen Raum wolle“ und ein Ich „seinen Teil vom Kuchen“.  Auch in dieser Passage kann ein Bezug auf den populistischen Moment genommen werden. Sowohl der oben angedeutete Wohlstandschauvinismus, als auch die Befreiung aus der politischen Ohnmacht sind wiederzuerkennen, und erneut ist sie negativ dargestellt. Der Teil vom Kuchen ist vergleichbar mit der Idee vom Platz an der Sonne und ist somit für mich klar negativ geprägt, da besonders in der heutigen Weltlage Deutschland mit am besten dasteht und die Idee kaum mehr zeitgemäß ist. Da es sich um linke Interpreten handelt ist ein ähnlicher Gedankengang vermutbar. Nach der erneuten Wiederholung der Refrains wird das Ich als ein in vielen Tätigkeiten befindliches Objekt beschrieben. Es sei Hedgefonds-Manager, Amokläufer und Selbstmordattentäter. Hier lässt sich erneut eine Stigmatisierung einer rechten Weltanschauung als vollständig böse einstufen. Die beiden letzteren sind in ihrer Bedeutung offensichtlich, die erste Tätigkeit mit Einbezug der linken Gesinnung Kettcars ebenfalls. So sei das wir „Volk, Nation, Gesinnung, Gang, Mob und (Mörder von Verrätern)“. Auch hier ist das Zusammenspiel aus Mob und Gang mit Volk und Nation Ursache einer negativen Botschaft, die mit Hinblick auf den gesamten Text deutlich wird. So bleibt die herbe Kritik an den besorgten Bürgen.

Doch verstecken sich noch mehr potentielle Stellen für die Einstufung des Textes als einen mit mehrdeutigen Botschaften in dem Lied?  Sicherlich. Zwei sind mir dabei noch besonders aufgefallen. Zunächst die Nutzung des „Montagsmarsches“. Dieser war, wie der Sturm auf die Bastille unter anderem eine Freiheitsbewegung, in der die Menschen der DDR für die Öffnung von Grenzen einstanden. Eben diese will Pegida nun wieder schließen, aber nicht für sich, sondern für andere. Gleiches gilt für das zweite Beispiel, die Wagenburg. Diese wurde damals von Menschen errichtet, die strenggenommen geklautes Gut vor seinen eigentlichen Eigentümern schützte.

In beidem kann ein erster Versuch einer Deutung des Albumtitels in dem Lied vorgenommen werden. Ein Ich versteckt sich in einem vermeintlichen Wir, dass jedoch „aus vielen Ichs besteht“, um sein völkisches Wir zu schützen und sich einem echten Wir zu verwehren. Darin kann auch die Aussage vom Textbeginn von Marcus Wiebusch eingegliedert werden. Seine Aussage, dass die Vielzahl der Ichs sich nur „unter einem völkischen Begriff sammeln“, passt dazu. Auch die Textpassage der Ichs, die sich in einem Wir verlieren, kann eingebunden werden. Es ergibt sich, dass Ich und Wir zwar ähnliche Grundpositionen einnehmen, aber kein wirkliches Wir entsteht. Am Ende ist Ich nicht Teil des Wirs, sondern steht im ständigen Konflikt zum völkischen Wir, da es nur seine Interessenvertretung bildet, nicht aber seine Gemeinschaft ist. So wird das Wir vom Ich missbraucht, „um zu zeigen, wieviel man hat“. Es ergibt sich ein Kampf zwischen dem Ich, dass immer sehen muss, dass das Wir es nicht verlässt und dem Wir, dass als Schild der Ichs fungiert, aber gar kein Wir mit einheitlichen Werten bildet.

Gerade dieser Konflikt aus Ich und Wir ist meines Erachtens nach sehr interessant, weil er treffend formuliert ist. Der Populismus bringt Menschen zusammen, die bis auf ihre Unzufriedenheit und Angst nicht zwingend etwas verbindet. Deswegen identifizieren sie sich als wir über eine Ablehnungshaltung und entwickeln sich, zum Beispiel im Umgang mit der Presse, dann und wann zur fiesen Menschenmenge. Jedoch kann ich nicht allem zustimmen. Besonders die Überspitzung der Gesinnung des besorgten Bürgers und seine Gleichsetzung mit einem Nazi ist für mich nicht nachvollziehbar. Auch sonst ist der Text sehr einseitig verfasst und geht kaum auf die nachvollziehbaren und zweifellos vorhandenen Ursachen für den populistischen Moment ein. Jedoch ist das laut Interpreten auch nicht Ziel des Liedes und ein bisschen Härte und Stigmatisierung durch Künstler gegen einen aus Zukunftspessimismus und Liberalisierungsablehnung (siehe „Moralische Entrüstung greift zu kurz“) entstandenen Populismus dürfen erlaubt sein,  wenn auch klar sein muss, dass dies zu einer Verhärtung der Fronten führen kann, sobald dieses Lied populär wird.

Verwendete Internetquellen:
[1] www.but-alive.de/band_bio.htm
[2] www.eventim.de/kettcar-biografie.html?affiliate=EVE&doc=artistPages/biography&fun=artist&action=biography&kuid=1095
[3] katapult-magazin.de/de/artikel/artikel/fulltext/moralische-entruestung-greift-zu-kurz/
[4] katapult-magazin.de/de/artikel/artikel/fulltext/zurueck-ins-19-jahrhundert/
[5] www.musikblog.de/2017/10/wir-sind-keine-parolenband-kettcar-im-interview/