Allgemein, Ethik & Philosophie

Was ist der Mensch? (II)

Ein Beitrag von Milena Venn (10c).
Der Text entstand als Antwort auf eine der vier Grundfragen Immanuel Kants im Rahmen des Ethikunterrichts der 10. Klassenstufe.

Schon im Mittelalter und lange davor fragten sich die Menschen, was genau sie eigentlich sind. Obwohl wir heute ganz andere Beweggründe sowie andere wissenschaftliche und philosophische Grundlagen haben, suchen wir immer noch nach einer Antwort. Im Laufe der Zeit entwickelten sich verschiedene Anschauungen, zu denen die Bilder des Menschen als Zerstörer (Steve Cutts), als Mängelwesen (Arnold Gehlen) und als Krone der Schöpfung (Otfried Höffe) gehören.

Meiner Meinung nach lässt sich schwer sagen, ob der Mensch sich überhaupt durch eine der genannten Theorien definieren lassen kann. Ich glaube, jeder dieser Männer könnte mit seiner These bis zu einem bestimmten Punkt richtig liegen, dich jede Vermutung stößt an ihre Grenzen, wenn es darum geht, den Menschen als ein vielfältiges Lebewesen zu betrachten. Dies liegt daran, dass sich die Thesen gegenseitig gänzlich ausschließen. Sie schließen sich nicht nur gegenseitig aus, sondern jede auch jede andere denkbare Theorie. Es wird also nicht berücksichtigt, dass der Mensch auch ein Mängelwesen sein könnte, das durch seine Wissenschaftsfähigkeit gelernt hat, zu zerstören, und dadurch auch die Macht über die Welt bekommen und sich von jeglichem natürlichen Feind befreien konnte. Doch auch von dieser Kombination der Thesen wäre ich nicht überzeugt.

Ich glaube, dass der Mensch etwas Veränderbares und etwas Vergängliches ist, was es sehr schwer macht, ihn als das eine oder das andere zu definieren. Er ist immerzu Veränderungen ausgesetzt. Dazu gehören Fortschritte, also von Menschen hervorgerufene Veränderungen, aber auch solche, auf die der Mensch keinen Einfluss hat. Außerdem verändern auch wir uns ständig, was dazu führt, dass „sich Menschen regelmäßig in andere Menschen [verwandeln].“ [aus: Hürter, Tobias/Vašek, Thomas: Erzähle dich neu. In: Hohe Luft. Philosophie-Zeitschrift. 2/2015.]

Doch der Mensch ist nicht nur verwandel- und veränderbar, er ist auch vergänglich. Das wohl präsenteste Beispiel dafür ist der Tod. Der klinische Tod lässt zuerst eine „Hülle“ zurück, welche wir nicht mehr als Mensch, sondern als Leiche beschreiben. Dies verdeutlicht, dass der Mensch nicht nur durch seine äußeren Merkmale definiert werden kann. Doch hinzu kommen noch viele andere Vergänglichkeiten, denn der Mensch ist durch und durch ein vergängliches Wesen. Unsere Zellen erneuern sich, Meinungen und Ansichten werden ausgebaut, umstrukturiert oder verworfen und letztendlich hat ein kleines Mädchen von einem Foto nicht viel mit der alten Frau zu tun, die es Jahrzehnte später betrachtet. Es gibt nichts, was einen Menschen für ein ganzes Leben lang definiert, keinen „gespeicherten“ Charakterzug, der ein Leben lang erhalten bleibt. Das eigene „Ich“ ist ausgedacht von Menschen, was den Mensch zum Meister der Illusionen macht. Wir geben uns unseren Illusionen gern hin, um zu überbrücken, dass wir vergänglich, veränderbar, vielleicht auch mangelhaft oder zerstörerisch sind.

Vielleicht beruht auch dieser Text auf einer Illusion. Der Illusion, dass man den Menschen definieren kann.