Ein Beitrag von Emily Scholle, Abiturientin der Fichtenberg-Oberschule im Jahrgang 2015-2016.
Als ich letztens in einer Personalpolitik-Vorlesung saß, fragte mein Professor uns, warum wir hier seien. Studieren wir das, was wir studieren, weil es uns interessiert, oder weil wir nur auf das später angeblich so hohe Gehalt aus sind?
Ich selbst kann mich ganz klar der ersten Sparte zuordnen und so schockierte es mich nur noch mehr, dass sich circa 95 % der rund 400 anwesenden Student*innen eher der zweiten Sparte zuordnen.
Die Altersspanne bei Betriebswirtschaftslehre (BWL) im 3. Semester an meiner Universität, der Freien Universität Berlin, liegt nach eigenen Schätzungen zwischen 18 und 27 Jahren. Dies ist ein Alter, in dem man noch jung ist und einem alle Türen der Welt offen stehen. Wenn man diese offenen Türen nicht nutzt, sondern sich lieber durch etwas hindurch quält, das nicht nur sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, sondern einem obendrein keinen Spaß macht, trifft das bei mir auf totales Unverständnis.
Generell nehme ich, wenn ich gefragt werde, was ich so mache, und meine Antwort darauf „Ich studiere BWL“ lautet, eine genervte Reaktion meines Gegenübers wahr. Das war schon zum Ende meiner Schulzeit so und ich glaube, es wird sich auch nicht mehr ändern.
Letztens jedoch hat eine Person dann gefragt, warum ich dies studiere, und als ich ihr meine Gedankengänge dazu erläuterte, war ihre Antwort, dass ich die erste BWLerin sei, die sie kenne und die diesen Studiengang aus Überzeugung macht.
Zum Ende des Abiturs beschäftigt, glaube ich, alle Schüler*innen die Frage, wie sie ihr Leben jetzt weiter gestalten sollen. Es ist zum ersten richtigen Mal der Moment im Leben, in dem man in jede mögliche Richtung gehen kann. Nicht nur die Frage, ob ein freiwilliges Jahr, Arbeiten, eine Ausbildung, ein Studium, Reisen gehen oder einfach eine Zeit lang auf dem Sofa chillen der richtige Weg für einen ist, muss man für sich selbst klären, sondern auch, was dann genau. Wo mache ich mein freiwilliges Jahr? Wo arbeite ich? Was möchte ich studieren und wo? (Bei allen Bereichen gibt es diese Frage, außer vielleicht beim Sofa – da gäbe es nur die Frage, ob man ein Sofa hat.)
Ich war in meinem Abiturjahrgang die Person, die alles organisierte. Die Person, die nicht nur Herrn Steiner nervte, weil ich unbedingt eine Abiturverleihung auf dem Schulhof wollte, sondern die auch alle anderen Schüler genervt hat, wenn ich noch ein Informationspost in die Facebook-Gruppe geschrieben habe. Warum habe ich das gemacht?
Mir hat das Organisieren viel mehr Spaß gemacht als Biologie oder Kunst. Es war für mich der Teil in der Schule, in dem ich aufgegangen bin.
Ich selbst wollte ganz lange kein BWL studieren. Ich wollte nicht so sein wie alle anderen, sondern – auch wenn mich das Fach eigentlich interessierte – etwas anderes machen.
Also beschäftigte ich mich bei meiner Recherche mit Studiengängen, die in diese Richtung gehen, aber dennoch anders sind, wie beispielsweise „Internationales Management“ oder „Wirtschaftspsychologie“.
Da ich bei meinem Abitur 17 Jahre alt war, wusste ich, dass ich in Berlin unter den Minderjährigen-Bonus fallen würde, und auch sonst stellte ich mir die Frage: „Mit 17 ausziehen?“ Das war für mich in dem Moment keine Option und so entschied ich mich dafür in Berlin zu bleiben.
Die Studiengänge, die mich unabhängig von BWL interessierten (s.o.), gibt und gab es vor allem an privaten Hochschulen, wo man im Durchschnitt 400 Euro pro Monat zahlt.
Auch wenn ich mir sicher war, dass diese Richtung die richtige für mich sein würde, wollte ich nicht so viel Geld dafür ausgeben. Also kam nun doch Betriebswirtschaftslehre in Frage, da die Vertiefungen, in denen man einen Bachelor an so vielen privaten Hochschulen machen kann, von öffentlichen Universitäten als Master-Studiengänge angeboten werden.
Ich war bei allen Offenen Tagen der Fachbereiche Wirtschaftswissenschaft: an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin und der Universität Potsdam. Schlussendlich hat mich die Freie Universität Berlin am meisten überzeugt.
Nicht unwichtig für meine Entscheidung war, dass ich in der Nähe der Universität wohne und ein kurzer Weg für mich einfach mehr Lebensqualität bedeutet. Aber auch sonst habe ich mich dort einfach wohl gefühlt.
Als ich die Zusage der Freien Universität bekommen habe, habe ich mich total gefreut und wollte unbedingt studieren.
Die Zeit zwischen Abitur und Studium habe ich ein wenig in den Tag hineingelebt – zwar nicht in Berlin, aber trotzdem in einem zweiten Zuhause – und einen Welpen großgezogen (wer dies schon mal gemacht hat, weiß, wie anstrengend das ist). Ein richtiger Tagesablauf und eine Aufgabe, die den Geist beschäftigte, waren in dieser Zeit in meinem Leben nicht vorzufinden.
Die ersten Wochen an der Uni waren für mich super aufregend. Neue Menschen, neue Gebäude, neuer Inhalt, neuer Ablauf.
Ich fand es toll. Es interessiert niemanden, ob und wann man in die Universität kommt, ob man aufpasst, schläft oder eine Serie guckt. Man ist komplett selbst dafür verantwortlich, dass man sein Studium besteht.
Ich weiß nicht, wie andere Studiengänge sind, weil ich meinem bisher treu geblieben bin, aber ich vermute, dass Betriebswirtschaftslehre und auch Volkswirtschaftslehre (VWL) sehr theoretische Studiengänge sind.
Nach den ersten paar Monaten kam ich daher in eine Phase, in der ich nur noch hinschmeißen wollte, weil ich einfach nicht hinterhergekommen bin und mir alles viel zu theoretisch war. Wie das Rechnungswesen in Unternehmen funktioniert, braucht doch eh niemand, dachte ich. Schon in der Schule habe ich mich immer im Matheunterricht gefragt, wofür man Integral-Rechnung braucht, und jetzt ging das im Studium so weiter.
Überhaupt ist Mathematik ein wichtiger, ja, superwichtiger Punkt bei BWL. Ich hatte zwar in der Schule „nur“ Grundkurs Mathematik, aber war dort sehr gut und glaube also ein sehr gutes mathematisches Verständnis zu haben. Trotzdem kam ich mir zu diesem Zeitpunkt an der Uni sehr dumm vor. Aber hier gilt, wie auch generell im Studium, dass, wenn du etwas willst, du es schaffst.
Studium – und vor allem bei Betriebswirtschaftslehre – bedeutet sehr viel Eigenarbeit. Einige, die BWL studieren, haben vorher eine Ausbildung in diese Richtung gemacht und somit schon Grundkenntnisse über Marketingstrategien, Steuern, Rechnungswesen, Personalpolitik oder auch Arbeitsrecht – also alles, was in einem Unternehmen wichtig ist.
Ich hatte diese Vorkenntnisse nicht, aber was ich hatte, waren der Willen und das Interesse, dies alles zu lernen, auch wenn dafür sehr viele Wochenenden und Freizeit drauf gingen. Das Grundwissen, das viele Professor*innen zum Teil unterschwellig voraussetzen, musste ich mir erstmal aneignen.
Parallel zum Studium habe ich im ersten Semester angefangen, mehr in der Event-Catering-Firma zu arbeiten, in der ich auch schon neben dem Abitur hin und wieder gejobbt habe. Nicht nur des Geldes wegen, sondern vor allem, weil mir das Studium sehr trocken schien und mir auf Dauer bei der Stillarbeit in der Bibliothek der soziale Kontakt gefehlt hat.
Und dann habe ich irgendwann den Mut zusammengenommen und den Geschäftsführer gefragt, ob ich ihn eine Woche lang mal begleiten und somit einen Einblick in sein Leben bekommen darf.
Long story short. Ich habe in der einen Woche nicht nur gesehen, wofür ich so viel aus dem Studium brauche, und einen Einblick in die „echte“ Arbeitswelt bekommen, sondern danach auch ein Jobangebot erhalten, so dass ich jetzt, ein Jahr später, immer noch neben dem Studium in dieser Firma arbeite. Ich freue mich immer wieder aufs Neue, wenn ich verstehe, worüber geredet wird, wenn es um Steuern, Buchhaltung, Marketing-Strategien oder sonstigen betriebswirtschaftlichen Themen geht.
Ich hole mir dadurch die Praxis, die mir in meinem Studium gefehlt hat und es war eine der besten Entscheidungen.
Wenn ich gefragt werde, was ich so mache, ist meine Antwort somit nicht ausschließlich, dass ich BWL studiere, sondern auch, dass ich arbeite. Viel Freizeit bleibt dabei natürlich nicht.
Deshalb trifft nicht nur meine Studienwahl bei vielen auf Unverständnis, sondern auch, dass ich meine Aktivitäten so lege, dass ich nur noch sehr wenig Freizeit habe. Aber das finde ich okay. Denn mir macht es Spaß und ich habe für mich ganz persönlich die Kombination gefunden, in der ich glücklich bin.
Für mich ist das Studium der Betriebswirtschaftslehre also keineswegs ein Studium, das ich studiere, weil ich nicht weiß, was ich machen soll. Es gibt mir einen Einblick in alle wichtigen Bereiche der Unternehmenswelt (und ganz ehrlich: was ist so schlecht daran, wenn man ohne fremde Hilfe eine Steuererklärung machen kann?).
Meine zukünftige Vertiefungsrichtung hat sich während des Studiums geändert. So dachte ich anfangs, dass nur der Bereich Marketing und Management für mich interessant sein wird. Mittlerweile glaube ich, dass ich in der Personalführung und im Thema Arbeitsrecht besser aufgehoben wäre, aber das eine schließt ja das andere auch nicht aus.
Früher war es immer mein Traum, Lehrerin zu werden. Ich wollte gerne das Leben von anderen beeinflussen und vielleicht ein Stückchen besser machen.
Mittlerweile glaube ich, dass ich keine gute Lehrerin an der Schule wäre, aber vielleicht ja in der Berufswelt.
Indem man Verantwortung in einem Unternehmen trägt und als Vorgesetze*r agiert, bestimmt man mit, wie schön oder eben auch nicht diese Menschen ihre Arbeit wahrnehmen und ob sie überhaupt eine Chance bekommen. Somit kann man das Leben von (je nach Größe des Unternehmens) sehr vielen Menschen beeinflussen und vielleicht ja auch ein bisschen besser gestalten. Man ist damit der Lehrer für die Mitarbeiter*innen, also eine sehr wichtige Person in ihrem Leben, wie es auch die Lehrer*innen während der Schulzeit für die Schüler*innen sein sollten.
Für mich ist meine Zeit des Studiums die Zeit, in der ich mich ausprobieren, in der ich neue Sachen erleben und sehen möchte, wohin es mich wirklich verschlägt.
Durch die Einführung von G8 im Schulsystem und früherer Einschulung (mit 5 statt wie früher 6 Jahren) sind alle Abiturienten*innen, wie auch ich damals, noch sehr jung.
Ich bereue es nicht, sofort mit dem Studium angefangen zu haben. Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit, alleine die Welt zu bereisen oder komplett zu arbeiten. Aber ich nutze jetzt die Zeit des Studiums dafür. Wenn ich in der Regelstudienzeit meinen Bachelor mache (und so sieht es im Moment aus), bin ich mit 20 Jahren fertig. Ich bin dann in einem Alter, in dem andere ihr Abitur gemacht haben und für Unternehmen uninteressant bin, weil ich vermutlich „zu wenig Lebenserfahrung“ habe.
Deshalb nutze ich die Zeit, um Erfahrungen zu sammeln. Sei es durch Freiwilligenarbeit in den Semesterferien in Mittelamerika oder durch ein Auslandspraktikum in Indien.
Ich bin jetzt so weit, die Welt zu sehen und mich alleine auf den Weg zu machen, neue Erfahrungen außerhalb meiner Komfortzone Berlin zu sammeln.
Ich kann jedem nur raten, den Weg einzuschlagen, den man selbst für richtig hält und auf dem man sich wohl fühlt. Lasst euch nicht von anderen beeinflussen, sondern macht das, was ihr machen wollt, denn ihr lebt dieses eine Leben und das solltet ihr genießen. Werdet nicht so wie viele meiner Kommiliton*innen, die etwas studieren, wovon sie sich eine sichere Zukunft erhoffen, aber es nicht das ist, was sie wirklich interessiert. Dafür ist das Leben zu kurz.