Allgemein, Reportagen

Das Leben als Knacki

Eine Reportage von Simon Mackel (8b). Der Artikel entstand im Rahmen des Zeitungsprojektes der 8. Klassen. Die Namen sind frei erfunden.

Ich bin auf dem Weg zu einem Weihnachtsmarkt denn dort habe ich einen Termin mit Frau Jensen. Den Kontakt habe ich über Telefon und Internet hergestellt. Ich bin in Neukölln-Rixdorf angekommen und habe auch sofort den Stand der Evangelischen Gefangenenseelsorge gefunden. Frau Jensen ist noch sehr mit dem Standaufbau beschäftigt. Also helfe ich einfach mal mit und hoffe, so mit ihr ins Gespräch zu kommen.

Es ist mein erstes Interview, deswegen bin ich ziemlich aufgeregt. Zum Glück habe ich mir im Vorfeld ein paar Fragen überlegt und notiert. Ich zeichne das Gespräch mit meinem Smartphone auf. So kann ich ihr beim Dekorieren besser helfen und muss nicht mitschreiben.

Frau Jensen ist Pfarrerin in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Sie spricht mit den Menschen, die dort zeitweise Leben. Sie erfährt, was den Gefangenen im Alltagsleben hinter Gittern bewegt. So erfährt sie auch, warum sie im Gefängnis sind. Diese Gespräche sind für die Gefangenen sehr wichtig, da Frau Jensen eine Vertrauensperson ist und zuhören kann. Viele Gefangene sind recht einsam im Knast. Frau Jensen meint, sie müsse immer sehr vorsichtig sei, was sie sagt, damit sie keine Wünsche weckt, die sie nicht erfüllen kann. Zudem gibt es gewisse Regeln im Umgang mit Straftäter. Da die Männer sehr viel Zeit in Ihren Zellen haben, können sie sich auf die Gespräche mit Frau Jensen vorbereiten. Oft nutzen sie auch die Zeit, um sich Geschichten auszudenken, damit sie in einem besseren Licht dastehen. Bei Anträgen zur Haftverkürzungen wird auch Frau Jensen oft um Rat gefragt.

Am Stand sind noch drei weitere Personen. Zwei ältere Männer und ein jüngerer. Als Frau Jensen mit dem Verkauf von selbstgebackenen Plätzchen aus dem Knast beschäftigt ist, komme ich mit Ben, dem jungen Mann ins Gespräch. Er ist Insasse von Tegel und erzählt mir, wie es dazu kam. Mit dreizehn Jahren hatte er angefangen, mit Drogen zu dealen und damit richtig, richtig viel Geld verdient. Von dem ganzen Geld kaufte er sich ein Auto. Und lud seine Freunde zu Partys ein. Zur Schule ging er dann nicht mehr. Seine Eltern war das egal oder sie wussten es auch nicht. Mit vierzehn wurde er mehrfach beim Fahren ohne Führerschein erwischt, auch wurde er wegen gewalttätiger Delikte, wie Überfall und Nötigung, z.B. dem Erpressen von Handys, angezeigt. Aber bei Kindern unter 14 Jahren greift das Strafrecht noch nicht, so musste er nicht ins Gefängnis. Mit 18 wurde er dann das erste Mal zu fünf Jahre Jugendgefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung dauerte es nicht allzu lange, bis er wieder Straffällig wurde. Die nächste Verurteilung bekam er nach einer filmreifen, einstündigen Verfolgungsjagd durch das nächtliche Berlin. Der Richter schickte ihn für weitere fünf Jahre nach Tegel.

Das Leben im Knast ist nicht immer einfach. So sind rund 70 Zellen auf einem Flur und dadurch ist es sehr laut. Abends bekommen die Straftäter oft Beklemmungen und wollen raus, dann ist es so laut, dass man nur mit Oropax schlafen kann. Das schönste, was Ben während seiner Haftzeit erlebt hat, war sein erster Freigang nach fünf Jahren. Den bekam er, weil er eine verständnisvolle Sozialarbeiterin hatte und sich durch Gesprächskreise eine gute Sozialprognose erarbeitet hatte.

Heute darf er von Dienstag bis Donnerstag draußen bei seiner Freundin schlafen. Ben machte eine Ausbildung in der knasteigenen Polsterei, in der er auch arbeitet. Nach seiner Entlassung möchte er sich mit seiner Freundin mit einer Polsterei selbständig machen. Auch will er jetzt den Führerschein machen. Fahren kann er schon, nur die Theorie ist für ihn eine Herausforderung. Für Ben sind die Jahre im Knast reine Verschwendung. Aber zu der Erkenntnis kommen viele erst vor Ort, sagte er.

Nach dem Gespräch kaufte ich noch ein paar Knastkekse und bedanke mich bei Ben und Frau Jensen für die Informationen.