Ein Beitrag von Carlotta Geßler (Q1). Dieser Text entstand im Rahmen des Grundkurses Deutsch (Leitung: Frau Lemme).
Im folgenden Text werden die Gesellschaftsromane „Effi Briest“ von Theodor Fontane und „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert auf deren inhaltliche Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Erzählstrategien der beiden Autoren analysiert und verglichen. Dabei wird der Fokus auf weiblichen Hauptfiguren in realistischen Romanen des 19. Jahrhunderts liegen.
„Madame Bovary“ wurde im Jahr 1852 in Frankreich veröffentlicht und gilt unter anderem aufgrund der neuen realitätsnahen Erzählweise als Meilenstein in der französischen Literatur. Der*Die Erzähler*in nimmt die objektive Perspektive ein, mit der er*sie das gesamte Geschehen überblickt. Kommentarlos lässt er*sie die geschilderten Personen agieren und sprechen. Trotz dieser Charakteristiken des Realismus lehnte Flaubert selbst es ab, seine Romane dieser Literaturepoche zuzuordnen. Die Handlung beruht auf wahren Ereignissen, dennoch löste sein Roman weitreichende Kritik aus. Flaubert wurde vorgeworfen, gegen die guten Sitten verstoßen zu haben sowie den Ehebruch zu verherrlichen. Es kam sogar zu einer Anzeige. Ein Jahr später wurde er jedoch freigesprochen und sein Roman durfte unzensiert veröffentlicht werden. Die Protagonistin des Romans heiratet einen weitaus älteren Mann, mit dem sie jedoch nicht glücklich ist, weshalb sie sich langweilt und mehrere Affären begeht. Auch die Geburt ihrer Tochter ändert nichts an ihrem Leiden, weshalb sie schließlich Selbstmord begeht.
Knapp 40 Jahre später, im Jahr 1895, veröffentlicht Theodor Fontane den Gesellschaftsroman „Effi Briest“. Die Handlung ist auf den ersten Blick sehr ähnlich, die Annahme, dass ein Roman die Vorlage für den Anderen war, ist nicht selten. Tatsächlich entstanden beide Romane jedoch unabhängig voneinander, doch beide lösten weitreichende Reaktionen aus. Während sich Flaubert jedoch heftiger Kritik ausgesetzt sah und seine Freiheit verteidigen musste, waren die Reaktionen zu „Effi Briest“ weitgehend positiv. Die Hauptperson heiratet ebenfalls mit nur 17 Jahren einen mehr als doppelt so alten Mann und wird von der Rolle des Kindes nahtlos in die Rolle der Ehefrau geschoben. Auch sie langweilt sich und ist nicht zufrieden mit ihrem Leben. Sie begeht Ehebruch und geht letztlich an schlechtem Gewissen und Kummer zugrunde. Fontane gilt als Begründer des poetischen Realismus, ihm gelingt es, die harten Konsequenzen, die bei Übertretungen des Moralkodexes zu erwarten waren, elegant in einem Gesellschaftsroman zu thematisieren.
Die Gemeinsamkeiten der beiden Romane werden schnell deutlich. Beide Protagonistinnen wachsen behütet auf dem Lande auf und sind noch „halbe Kinder“ (Effi Briest) als sie mit einem deutlich älteren Mann verheiratet werden. In beiden Fällen ist das Motiv für die frühe Hochzeit die Hoffnung auf gesellschaftlich höheres Ansehen. Beide fühlen sich in ihrer Ehe unverstanden, lieben ihren Ehemann nicht und langweilen sich. Ihre Ehemänner behandeln sie nur auf den ersten Blick gut, bei genauerer Betrachtung wird jedoch der Mangel von Nähe, Gespräch, Austausch, Offenheit und Zärtlichkeiten deutlich. Eine typische Szene zwischen Emma und ihrem Ehemann wird folgendermaßen beschrieben: „Er kam spät heim (…), wurde (er) von Emma bedient (…) begab sich sodann zu Bett, legte sich auf den Rücken und schnarchte“. Eine ähnliche Situation, die die mangelnde Zärtlichkeit und Liebe zeigt, wird auch in „Effi Briest“ beschrieben: „Es war fast zur Regel geworden, dass er (Innstetten) sich (…) aus seiner Frau Zimmer in sein eigenes zurückzog“.
Außerdem wird, wenn auch umschrieben, die fehlende sexuelle Anziehungskraft zwischen den Eheleuten deutlich. Fontane beschreibt sie als „wohlgemeinte(n), aber etwas müde(n) Zärtlichkeiten, die sich Effi gefallen ließ, ohne sie recht zu erwidern“. Flaubert umschreibt dieses Phänomen mit dem eben genannten Zitat, zu dem er hinzufügt, dass Emma „sich selbst in Liebesstimmung zu versetzten (versuchte)“, was aber keinen Erfolg habe („sie fühlte sich danach ebenso ruhig wie zuvor, und auch Charles schien daraufhin weder verliebter noch ergriffener“). Hier wird die mangelnde Liebe direkt und offen angesprochen, während bei „Effi Briest“ solche Thesen eher angedeutet werden, ohne sie direkt auszusprechen. Madame Bovary äußert selbst diese mangelnde Leidenschaft zwischen ihr und ihrem Ehemann, so findet man folgende Aussage bereits im ersten Teil des Buches: „überzeugte sie sich mühelos davon, dass Charles‘ Leidenschaft für sie nichts Übermäßiges mehr habe“. Effi auf der anderen Seite, die wenig Vergleichsmaterial hat, ist von der Liebe Innstettens ihr gegenüber überzeugt: „Und er liebt mich“. Dabei bemängelt auch sie die fehlenden Zärtlichkeiten: „Nur einen Kuss könntest du mir geben. Aber daran denkst du nicht (…) frostig wie ein Schneemann“. Da beide keinen außerhäuslichen Berufen nachgehen, empfinden sie ihren Alltag als reizlos und öde („Wie solle sie den Tag verbringen?“, Effi Briest). Das verändert sich auch nicht durch die Geburt ihrer Töchter. Um dieser Langeweile zu entfliehen, begehen beide Romanheldinnen Ehebrüche. Sowohl bei „Effi Briest“ als auch bei „Madame Bovary“ kommt dieses Vergehen erst Jahre später ans Licht und beide Frauen gehen an dem Ehebruch und dessen Folgen zugrunde.
Bei genauerer Betrachtung der Romane werden jedoch auch die gravierenden Unterschiede deutlich. Während Effi aus gutem Hause stammt, einen hohen gesellschaftlichen Stand genießt und dementsprechend über ausreichend finanzielle Möglichkeiten verfügt (zumindest durch ihre Eltern und später durch ihren Ehemann), gehört Emma dem einfachen Bürgertum an, wächst auf einem Bauernhof auf und lebt in einer prekären finanziellen Situation. Die Ehemänner der beiden Protagonistinnen entstammen ebenfalls grundlegend anderen gesellschaftlichen Schichten, auf der einen Seite steht Baron von Innstetten, der ein hohes gesellschaftliches Ansehen genießt („Er ist ja ein Mann von Ehre.“) und als schlau und gebildet dargestellt wird. So sind die Hauptgesprächsthemen der beiden Innstettens Arbeit und seine Meinung zu aktuellen politischen und wirtschaftlichen Geschehen („meist die Zeitung in der Hand, sprach vom Fürsten (…), von den Wahlen“). Außerdem ist er ein Mann, der preußische Tugenden besitzt und viel Wert auf Anerkennung und Ehre legt: „und dass es ein Glück sei, (…) einem Kreis vorzusehen, indem es noch Respekt gäbe“. Auf der anderen Seite steht Emmas Mann, der „nur“ Landarzt ist, eine flache Persönlichkeit besitzt und keinen Wert darauf legt, „sich zu benehmen“. Dies wird deutlich im folgenden Zitat: „Er zog seinen Gehrock aus, um es ich bequemer munden zu lassen (…) zählte einem nach dem anderen sämtliche Leute auf (…), mit sich selbst zufrieden aß er (…) und schnarchte“. Außerdem behandelt er Emma vielmehr wie eine Dienstmagd als wie seine Ehefrau („wurde er von Emma bedient“).
Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, neben dem Land, in dem die Romane spielen, die Darstellung der beiden Frauen durch Fontane bzw. Flaubert. Emma wird als geldgierig und selbstbezogen dargestellt. Diese Wahrnehmung entsteht vor allem durch die neue personale Erzählweise, die auf Bewertungen verzichtet, aber trotzdem eine umfassende Einsicht in das Innenleben der Personen gewährt. Außerdem gibt sich Emma nicht mit einer Affäre zufrieden, sondern betrügt ihren Ehepartner gleich mit zwei anderen Männern. Der Ehebruch wird also nicht als „Unfall“ beschrieben, sondern Emma ist ganz klar (Mit-)Schuldige, da sie sich von mehreren Männern verführen lässt. Effi jedoch wird als unschuldig und naiv dargestellt, die in die Rolle der Ehefrau hineingedrängt wurde, verführt wird und dementsprechend keine Schuld für ihr Vergehen trägt. Ihr Ehemann lässt sie oft alleine, weshalb ihre Reaktion menschlich erscheint. Die unterschiedlichen Umstände der Auflösung der Ehebrüche tragen zusätzlich dazu bei, dass mehr Leser*innen mit Effi als mit Emma sympathisieren.
Fontanes Schreibstil wird insgesamt sehr positiv bewertet, wie folgendes Zitat von einem Literaturkritiker zeigt: „Das Geflecht der Verweisungen durch beziehungschaffende Bilder und Gegenbilder, Allusionen und Parallelen (…) – Fontane bedient sich ihrer so überlegt wie überlegen.“ Die Nutzung von verschiedenen Metaphern ist ebenfalls von zentralem Charakter, über die Bedeutung der Schaukel und des Chinesen wird bis heute diskutiert. Für die Zeit des Realismus ist außerdem seine neutrale Erzählperspektive typisch. Er beschreibt nur, was äußerlich wahrnehmbar ist und erzählt nicht aus der Perspektive eines Charakters. Es wird also beschrieben, wie die Figuren handeln und agieren, dafür typisch ist die Nutzung reiner Dialoge, die in dem Roman „Effi Briest“ häufig zu finden sind, dabei ist es leicht, die neutrale Erzählperspektive beizubehalten. („‚Und wie alt ist eigentlich deine Mama?‘ ‚Achtunddreißig.‘ ‚Ein schönes Alter.‘“).
Trotz gravierender inhaltlicher und sprachlicher Unterschiede weisen beide Romane eine zentrale Gemeinsamkeit auf: die Hauptrolle ist weiblich. Das ist besonders angesichts der Entstehungszeit eine Rarität und noch ungewöhnlicher ist, dass beide Frauen als Menschen mit komplexen Beziehungen, Gedanken und Bedürfnissen dargestellt werden, sprich, außerhalb ihrer Rolle als Tochter oder Ehefrau, in der viele Frauen zu dieser Zeit gefangen sind. Sie werden facettenreich dargestellt, dabei werden auch negative Seiten beleuchtet. Sie werden also nicht idealisiert – im Gegenteil werden sogar schwere Vergehen (die Affären) thematisiert und aufgrund der Inneneinsicht in die Gefühlswelt der Protagonistinnen fällt es dem*r Leser*in leicht, diese Fehltritte zu verstehen, dabei wird an die Menschlichkeit appelliert. Dies ist als sehr progressiv zu bewerten. Sehr rückständig ist jedoch, dass beide ihre Ehre verlieren, indem sie den Ehebruch begehen. Sie haben diese Ehre somit nur in Bezug auf ihren Ehepartner und nicht so wie Männer in Bezug auf andere Bereiche. Ihre Ehre ist also von ihrem Mann abhängig. Daneben erfolgen Beschreibungen immer noch innerhalb gefertigter Rollenklischees, die nicht weitergehend hinterfragt werden („‘Freilich ist das die Hauptsache ‚Weiber weiblich, Männer männlich‘“ S.10, Effi Briest). Zudem erfolgen all diese Beschreibungen aus der Sicht von männlichen Autoren, weshalb die wahre Gefühlswelt der Frauen ungeklärt bleibt.
Textnac
– Fontane, Theodor: Effi Briest. Hg. v. Wolf Dieter Hellberg. Reclam. Ditzingen 2017.
– Fingerhut, Margret/ Schurf, Bernd (Hg.): Texte, Themen und Strukturen. Deutschbuch für die Oberstufe. Berlin: Cornelsen 2013. S. 348-351.