Allgemein, Debattenarena, Politik

Debattenarena: Demonstrationen der Corona-Leugner präventiv verbieten? (II)

Ein Beitrag von Henri Keller (Q3). Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Leistungskursunterrichts Sozialwissenschaften (Leitung: Herr Steiner). Einen weiteren Beitrag zu dieser Debatte findet ihr hier.

In der Woche vor  der geplanten Demonstration am 29.08.2020 gegen die Corona-Politik der Bundesregierung versuchte die Versammlungsbehörde des Berliner Senats die Demonstration  zu untersagen. Auf die Klage der Veranstalter „Querdenken 711“ folgte ein sogenannter Eilrechtsschutz des Verwaltungsgerichts, sodass dieses Verbot nicht genehmigt wurde. Die Politik befindet sich hier in einem Zielkonflikt zwischen Infektionsschutz und der Aufrechterhaltung der Grundrechte. Ich werde mich im Folgenden zu der Frage positionieren, ob man Demonstrationen der Corona-Leugner aus Sicherheitsgründen bereits im Vorfeld verbieten sollte. Um ein gerechtes Urteil fällen zu können, werde ich diese höchst kontroverse Frage aus verschiedenen Blickwinkeln und unter Zuhilfenahme der Kategorien Effizienz und Legitimität betrachten. Die wichtigsten involvierten Positionen sind zum einen die Unterstützer solcher Demonstrationen, weil sie direkt von einem Verbot betroffen wären, die Gesellschaft und ihre Individuen, da sie weiterhin der Gefahr der Pandemie ausgesetzt sind und unsere Demokratie als solche, weil eine Einschränkung der Grundrechte zur Debatte steht.

Befürworter der Forderung argumentieren, ein Verbot solcher Demonstrationen sei dadurch legitimiert, dass man der Ausbreitung von Covid-19 entgegenwirken muss, um so die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft sicherzustellen. Ein zweiter Lockdown, bedingt durch eine Erhöhung der ohnehin schon steigenden Infektionszahlen, hätte nämlich verheerende Konsequenzen für unsere Wirtschaft, unser Bildungssystem und natürlich unser Gesundheitssystem. Die Hanau-Gedenkt-Demo eine Woche zuvor wurde schließlich auch aus infektiologischen Gründen abgesagt. Weiterhin stellen Demonstrationen mit Menschen, die die Existenz von Corona womöglich leugnen und die Hygieneauflagen nicht unterstützen, ein erhöhtes epidemiologisches Risiko dar, da sie Hygieneauflagen womöglich noch vorsätzlich missachten.

Weiterhin bietet ein Verbot eine hohe Effizienz, da es den geringsten Aufwand darstellt, das Infektionsrisiko zu mindern und die Ausbreitung des Virus in unserer Gesellschaft zu verlangsamen. Sämtliche Ressourcen, die für das Polizeiaufgebot (das z.B auch Anstürme auf den Reichstag verhindern muss) benötigt werden, könnten eingespart werden. Auch ist es eine äußert schwierige, wenn nicht gar unmögliche Aufgabe für die Polizei, die Einhaltung der Hygieneauflagen sicherzustellen. Hinzu kommen dann noch sämtliche Kosten und der Zeitverlust der durch eine abgesperrte Innenstadt entstehen.

Darüber hinaus lässt sich sagen, ein Verbot aus Sicht eines Unbeteiligten legitim ist, da sonst sein Recht auf körperliche Unversehrtheit, GG Art 2 (2) eingeschränkt wird. Durch Demonstrationen wie die am vergangenen Samstag könnte die Infektionsrate wieder schneller steigen, sodass die Ansteckungsgefahr für Dritte sich ebenfalls erhöht. Die Gesundheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Menschen, die gar nichts mit der Demonstration zu tun haben sind also bedroht. Wenn jemand z.B. an einer Vorerkrankung leidet, kann eben diese erhöhte Infektionsgefahr verheerend sein, da die Viruserkrankung für ihn tödlich enden kann. Solidarität ist ein sehr wichtiger Grundsatz in unserer Gesellschaft.

Auf der anderen Seite ließe sich argumentieren, dass das Verbot einer Demonstration nicht förderlich ist, um den politischen Diskurs zu einer Lösung zu führen. Menschen, die mit der Corona-Politik unzufrieden sind oder sogar die Existenz von Corona leugnen, wären in ihrer Meinung noch bestärkt und würden auf ihrer Position verharren. Ein Meinungsaustausch, in einer Demokratie unabdingbar, ist somit erschwert und es entsteht eine Polarisierung der Gesellschaft. Randgruppen wie etwa Verschwörungstheoretiker oder Rechtsradikale erhalten dann einen Zuwachs.

Weiterhin wäre ein präventives Eingreifen der Polizei illegitim, da es den Grundsätzen unseres Rechtsstaats widerspricht. So lange die Veranstalter sich offiziell zu den Hygienemaßnahmen bekennen, darf erst in ihre Demonstration eingeschritten werden, wenn diese tatsächlich nicht eingehalten werden. So war auch das Vorgehen der Polizei bei der Demonstration vergangenen Samstag. Wenn dieses Prinzip missachtet würde, besteht die Gefahr, dass sich ein solches Vorgehen etabliert und normalisiert. Das ist eine Gefahr für unseren Rechtsstaat.

Es gibt jedoch ein Argument, das alle bis hier hin aufgeführten überwiegt. Aus Sicht des demokratischen Systems ist es nicht legitim das Infektionsschutzgesetz über solch essentielle Kernelemente unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu stellen. Es stellt eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie dar, da die Anhänger dieser Demonstrationen das Recht auf GG Art 8, Versammlungsfreiheit, und GG Art 5, Meinungsfreiheit, für sich beanspruchen dürfen. Das bedeutet, dass es selbst in Zeiten von Corona möglich sein sollte, seine Meinung so absurd sie auch ist, zu äußern und zu vertreten (so lange sie nicht gegen das Strafgesetzt verstößt). Das muss eine Demokratie aushalten.

Ich bin also abschließend der Meinung, dass Demonstrationen von Coronaleugner nicht im Vorfeld abgesagt werden sollten. Ich stimme zu, dass die Ausbreitung des Virus möglichst gering gehalten werden muss, um die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft sicherzustellen und das Wohlergehen eines jeden zu schützen! Auch bietet ein Verbot eine äußerst effektive Möglichkeit dies zu gewährleisten, jedoch finde ich, angesichts der Tatsache, dass sich die Infektionsrate momentan noch in überschaubaren Bereichen bewegt, eine so drastische Einschränkung unserer Grundrechte nicht gerechtfertigt. Solange die Organisatoren solcher Demonstrationen die Hygienemaßnahmen offiziell anerkennen, haben sie nach meinem Urteil das Recht, ihre Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Wenn die Hygienevorschriften jedoch konsequent auf der Demonstration selbst ignoriert werden oder wenn es einen Angriff auf unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wie bei dem Ansturm auf den Reichstag gibt, finde ich es dann legitim, die Demonstration aufzulösen.